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„Der Weltraum, unendliche Weiten.“ So begannen damals die Episoden der  Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“. Dort oben im Weltraum genießt nicht nur die Besatzung des Raumschiffes die „unendlichen Weiten“. Seit jeher sind wir  Menschen von der schier unvorstellbaren Größe des Universums fasziniert.

Der alte Seemann, der sein Leben lang schon die Ozeane bereist, die etwa 80%   unseres Planeten bedecken, ist noch immer begeistert von der Weite der blauen  Wassermassen, auf denen man tagelang unterwegs sein kann, ohne Festland zu  entdecken.

Der Anführer einer Wüstenkarawane, der sich jeden Tag in der größten Sandwüste  der Welt, der Rub al-Chali, befindet, empfindet sie noch immer als Wunder der   Natur. Die trockene Weite der wandernden Sanddünen findet er beinahe  berauschend.

Die amerikanische Prärie, Lebensraum der indigenen Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents und zahlreicher Tiere kann man stundenlang mit dem Auto durchqueren, ohne auch nur Anzeichen von Zivilisation vorzufinden. Wie  schön finden wir Menschen diese kilometerlangen, kerzengeraden Highways durch  die Weiten der Steppen der Prärie.

Die Serengeti, man nennt sie die „Endless Plain“ ist jedes Jahr Schauspiel der  „großen Migration“, bei der riesige Herden von wildlebenden Huftieren wie Zebras  und Gnus auf der Suche nach Nahrung hunderte Kilometer zurücklegen. Der Traum  eines jeden Safaritouristen, für den die Reise nicht nur wegen der Tiere, sondern vor allem auch wegen der Weite des Landes ein unvergessliches Abenteuer bleibt.

Die Tundra in Nordeuropa, ewige geradezu kälteanziehende Flächen, die jeden schwärmen lässt, der schon einmal dort war, denn alle finden die Weite dieses  kalten Landes fast schon meditativ.

Ungefähr hundert Meter über der Erde schwebt ein Heißluftballonfahrer in seinem Ballon dahin. Er will da oben die Weite genießen und aus seinem normalen Leben fliehen, das sich unten auf der Erde jeden Tag wiederholt.

Der Südpol, der jeden mutigen Abenteurer dazu einlädt, ihn zu bezwingen. Und sie alle wollten genau an diesen einen Ort, um Weite zu erleben.

Ein Bauer, der gerade sein eigenes Feld umpflügt, ertappt sich schon mal bei dem Gedanken über die schöne Weite dieser hügeligen Landschaft, der er seinen Lebensunterhalt verdankt.

Weite: etwas, was uns träumen lässt, Wünsche wahr  werden lässt und uns von tiefstem Herzen erfüllt. Die Weite ist nicht nur ein
Wort, es ist ein Gefühl. Etwas, das uns in unserem Alltag durch
den einfachen Gedanken daran vorantreiben kann, uns Lust darauf
macht, Neues zu entdecken. Wir sehnen uns danach.

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Doch ist Weite tatsächlich dieser romantische Traum der
Freiheit, Unbekümmertheit, Unbeschwertheit? Ist Weite nur gut?

Die Besatzung des Raumschiff Enterprise hat jahrelang ihre Familie nicht mehr  gesehen und am Schluss geht es ihnen doch nur darum, wieder nach Hause zurückzukehren.

Dem alten Seemann geht es ähnlich: auch er hat seine Geliebten jahrelang nicht mehr gesehen und vermisst sie sehr.

Der Anführer der Wüstenkaravane sehnt sich nach Gesellschaft. Es macht ihn  vielleicht traurig, denn viele schöne Gespräche entgehen ihm.

In der Prärie wurde durch Highways und Ansiedlungen viel von Menschenhand zerstört, und damit ist nicht nur Lebensraum für Tiere verloren gegangen, sondern auch der ursprüngliche Lebensraum der indigenen Bevölkerung. Heute leben sie nämlich oft in abgetrennten Resorts. Wie empfinden sie wohl die Weite um sich? Ist  Weite nicht auch Abgrenzung?

Auch der Safaritourist ist am Ende seiner Reise froh, wieder nach Hause zu kommen, denn er vermisst seine Wohnung (und hier insbesondere die warme Dusche J), aber vor allem seine Familie und Freunde.

In der Tundra mag es zwar viel Weite geben, doch für die Insassen der dort erbauten Arbeitslager ist das wohl ein schwacher Trost. Die oft politischen Gefangenen werden auf diese Weise von der Öffentlichkeit abgeschirmt, um sie  mundtot zu machen. Dabei hilft die Weite der Tundra.

Der Heißluftballonfahrer ist froh, wenn er heil wieder auf die Erde kommt. In seinem Haus erwartet seine Familie ihn nämlich schon sehnsüchtig und als der Ballonfahrer am nächsten Tag ins Büro geht, genießt er die Nähe zu seinen Arbeitskollegen, denen er von seinem luftigen Abenteuer erzählen kann.

Am Südpol ist die Bevölkerungszahl gleich null. Und das hat auch einen Grund:  menschenfeindliche Lebensbedingungen. Wer würde dort ewig verweilen wollen?

Nach einem Tag Traktordröhnen auf dem weiten Feld kann der Bauer wohl das Gekicher seiner Kinder gar nicht mehr erwarten. Den Duft eines schönen Abendbrots und die Zuwendung seiner Frau. Nach so viel Weite und Einsamkeit ist es nämlich für ihn immer schön, wieder Nähe zu verspüren.

All diese Personen haben eine Sache gemeinsam:

Sie sind gerne allein.
Die Weite gibt ihnen ein Gefühl der Freiheit.

Und doch:
Sie fühlen sich irgendwann einsam.
Und allein sein mag auf Dauer niemand … so schön die Weite auch sein mag.

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„WEITE IST GUT – ABER NÄHE ZU MENSCHEN UND
GESELLSCHAFT IST AM ENDE DOCH VIEL BESSER. ODER?“

Mein Herz klopfte, in meinem Kopf wuselten die Gedanken. Wer war im  Wohnzimmer? Ich zog meine Bettdecke bis zu meiner Nase hoch. Eine Weile  verging. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schlich nach unten. Dort saß jemanden auf dem Sofa in eine Decke gewickelt. Es war meine Omi. „Was machst du hier? Kannst du auch nicht schlafen? Soll ich uns einen Tee machen?“, fragte ich meine Oma, die sich abrupt umdrehte. ,,Ach, alles gut mein Schatz, ich war nur kurz mit meinen Gedanken weg“, antwortete meine Omi. Ich fragte sie:,,Willst du es mir erzählen?“ ,,Mein Schatz ich möchte dich nicht mit unangenehmen Dingen belasten“, sagte sie mit einer traurigen Mine. So kannte ich meine Oma gar nicht. ,,Ach komm schon Omi“, bettelte ich, ,,erzähle es mir!“  Meine Omi fing an zu erzählen:

Du weißt ja, unsere Familie kommt aus Syrien. Ich wurde dort geboren. 2011 fing dort ein Bürgerkrieg an. Ich war gerade einmal drei Jahre alt und bin ab dem Zeitpunkt im Krieg aufgewachsen. Zur Schule ging ich fast nie. 2021 entschloss meine Mutter, mit mir und meinen Geschwistern zu flüchten. Sie hielt es nicht mehr aus. Im Januar hatte man meinen Vater erschossen und meine Mutter hatte Angst, dass dasselbe auch uns passieren würde. Wir lebten in Hamah. Hamah war recht nah am Meer gelegen, weshalb wir uns entschieden, übers Meer zu flüchten. Es
war gefährlich, doch noch gefährlicher war es, hier zu bleiben. Zu dem Zeitpunkt war ich dreizehn Jahre alt und ich wusste, dass sich mein Leben komplett umstellen würde. Im Mai ging unsere Reise los. Wir fuhren an mehreren Inseln vorbei. Die erste Nacht war die schlimmste meines Lebens. Ständig hatte ich Angst, vom Boot zu fallen und es musste immer jemand wach bleiben. Meine Mutter, meine drei Geschwister und ich waren noch mit zehn anderen Leuten auf dem Boot. Die
Tage vergingen. Jeden Tag sah ich die Weite des Meeres und hoffte, dass ich mal Land sehen würde. Eines Nachts, ich hatte schon lange nicht mehr gezählt, die wievielte es war, schrie jemand „Land, Land“. Ich sprang auf, was auch die anderen auf dem Boot taten. Plötzlich kam Wasser in unser Boot und immer mehr Wasser, bis wir schließlich umkippten. Das Boot kenterte. Es war kalt, dunkel und ich hatte Angst um mein Leben und um das meiner Familie. Ich hörte die Schreie meiner Mutter und die meiner kleinen Brüder Feras und Marwan. Maron, meinen großem Bruder hörte ich nicht. Ich schwamm und schwamm. Mein Mund füllte sich mit Wasser. Auf einmal packte mich etwas von der Seite. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. Mir wurde schwarz vor Augen. Als ich aufwachte, beugte sich mein großer Bruder über mich. „Hala! Du lebst!“, schrie er freudig. „Los, wir müssen Mama, Marwan und Feras suchen. Ohne sie gehe ich nicht weiter.“

Ich schluckte. Mama und meine kleinen Brüder waren nicht mit uns am Strand. Angst stieg in mir auf. Was sollten wir tun? Ich wollte sie nicht verlieren. Fünf Minuten saßen wir bestimmt noch am Strand und überlegten, was wir tun sollten. Und die anderen, die mit uns auf dem Boot waren? Was ist mit denen?, fragte ich meinen Bruder. „Ich habe fast alle schon gesehen. Sie gehen ins Flüchtlingslager nach Pisa. Das ist aber sehr weit weg. Wir brauchen bestimmt mehrere Tage, um
dorthin zu laufen.“, erzählte mir mein Bruder. Wenigstens gab es ein paar gute Nachrichten. Doch es graute mir davor, mehrere Tage zu laufen. Ich flehte meinen Bruder an, noch einen Tag zu warten, da ich noch zu erschöpft war. Ich wollte nur schlafen. Mein Bruder sah mir das anscheinend an und willigte ein, wofür ich ihm sehr dankbar war. Wir liefen am Strand entlang und fanden Koffer, die wahrscheinlich mit uns angespült worden waren. Drei Koffer davon gehörten uns. Am Strand entdeckten wir eine Strandbar, wo wir für eine Nacht übernachten konnten.Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg nach Pisa. In der Unterkunft hatten wir eine Landkarte bekommen. Dieser folgten wir und kamen an einen Fluss. Dort legten wir eine Rast ein. Die Vögel zwitscherten und es ging ein leichter Wind. Die Tage vergingen und immer sah ich die Weite der Landschaft. Unterwegs waren wir per Anhalter oder mit dem Bus. Viel vom Weg liefen wir auch
einfach. Nachts schliefen wir oft in der Natur oder bei netten Leuten, die und  aufnahmen. Ich dachte oft an meine Mutter und an meine kleinen Brüder. Ich wusste nicht, ob sie überlebt hatten. Die Tage und Wochen vergingen und ich weinte viel. Irgendwann war der Tag gekommen. Es war Abend und die Sonne ging schon unter. Da hörte ich Kinder lachen und Eltern rufen. Ich glaubte kaum, was ich
sah. Es waren große weiße Zelte. Wir hatten es geschafft. Vor einem großen Tor sah ich jemanden stehen. Diese Person war klein und erinnerte mich an meinen  Bruder. „Feras!“, schrie ich vor Glück. Mein Mund war staubtrocken und meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Ich war erschöpft, doch ich rannte. Plötzlich kam meine Mutter mit Marwan um die Ecke. Es war der schönste Moment in meinem Leben, als ich sie endlich wieder in die Arme schließen konnte. Doch
ich wusste, es war erst der erste Teil unserer Reise geschafft. Ein halbes Jahr lebten wir gemeinsam in dem Flüchtlingslager, bevor wir weiterzogen. Noch einmal machten wir uns auf einen langen Weg. Noch einmal wusste ich nicht, was mich erwarteten würde. Doch dieses Mal waren wir als Familie wieder zusammen. Wir liefen und liefen. Irgendwann nach bestimmt einem halben oder dreiviertel Jahr, kamen wir an. Langsam sahen wir am Horizont ein leichtes Licht. Meine Mutter blieb stehen. Ich sah in ihrem staubigen Gesicht, wie erleichtert und froh sie war. Mit erschöpfter Stimme sagte sie: „Wir haben es fast geschafft!“ Mein kleiner Bruder Marwan machte kleine Luftsprünge. Feras war auf meinem Arm eingeschlafen. Er war einfach zu erschöpft gewesen. Genau wie mein großer Bruder und ich. Mama sagte zielstrebig: „Dieses kleine Stück schaffen wir noch. Auf geht’s!“ Aber dieses kleine Stück kam mir wie der weiteste Weg meines Lebens vor.

Meine Beine schmerzten. Da sahen wir die Grenze zu Österreich. Ein Mann fragte nach unseren Papieren. Schließlich öffneten sich die Tore der Grenze für uns. In einer Turnhalle gab es Wasser und Haferbrei für alle. Auf dem Boden lagen bequeme Luftmatratzen mit fluffigen Decken- einfach ein Paradies. Mein großer Bruder sah die Matratzen, legte sich hin und schlief direkt ein. Ich aß zwei Schüsseln Haferbrei und legte mich dann neben ihn.

Drei Monate vergingen … .

Es war ein besonderer Tag. Heute sollte ein Bus kommen und alle Menschen aus dem Lager nach Deutschland bringen. Ich war aufgeregt und hoffte, dass die dritte Reise die letzte werden würde. Wir saßen ungefähr sechs Stunden in diesem Bus. Es wurde langsam echt stickig aber ich dachte an die schöne Zeit, die wir in Deutschland haben würden. Dann kamen wir schließlich in Ingolstadt an. Dort wurden wir sofort in die Zentrale für Flüchtlingshilfe gebracht. Wir schliefen ein paar Nächte in der Unterkunft, bis wir bei einem Ehepaar unterkommen konnten. Sie waren sehr nett und gaben uns ein Zimmer zum Wohnen und halfen meiner Mutter, Arbeit zu finden. Ich war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und konnte wieder zur Schule gehen. Auch meine Brüder konnten zur Schule gehen. Irgendwann hatte meine Mutter soviel Geld verdient, dass wir uns eine eigene Wohnung anmieten konnten.

Oma schluckte. Eine Träne lief über ihre Wangen. Ich nahm sie in den Arm. „Das ist meine Geschichte“, sagte sie mit zittriger Stimme. Mir wurde bewusst, wie gut ich es habe, hier und ohne Krieg zu leben. Ich hatte noch so viele Fragen, doch ich war schon fort im Land der Träume.

Unerwartet hallte die Türklingel durch die von Morgenlicht getränkten, mit müden Jalousien verhangenen Zimmer meines kleinen Apartments. Unerwartet, ja so ließ sich auch das bezeichnen, was vor der abgenutzten Wohnungstür mit Engelsgeduld auf mich wartete. Es war klein und kantig, der Körper faltig und vernarbt, an einer Ecke durchnässt, trotz sonnigem Frühlingswetter, in bunte Rüstung gehüllt. Trotz seiner Größe thronte es Stolz über meiner bräunlichen Fußmatte, als gäbe es keinen Ort, den es lieber besetze. In halbe Schlaftrunkenheit verhüllt, nahm ich den Reisenden in mein Zuhause auf, erfüllt von den Fragen „Woher?“ und „Warum?“. Es war nicht schwer, nein sogar überraschend leicht und ließ sich höflich zu Tisch bitten. Zügig zog ich die schweren Rollläden hinauf, die die Wohnung noch vor wenigen Minuten in ein wohliges Zwielicht tauchten, jenes Zwielicht, dass man als Kind gefürchtet, mit dem Alter jedoch verschlafen lieben gelernt hatte. Mein Gast verblieb während diesen wenigen Minuten auf dem Wohnzimmertisch wie jenes Dunkelheit-fürchtende Kind, dass dem Erwachsenen voll Neugier bei seinen Tätigkeiten hinterherblickte, voll Freude, trotz vollständiger Unwissenheit. Doch die Neugier sollte bleiben, denn ich entschloss mich zu frühstücken, bevor ich mich weiter mit dem bunten Besucher befasste. Eine warme Brise zog durch das Küchenfenster, es würde ein netter Tag werden, dachte ich, während ich zwei Toastscheiben abenteuerlich in die Tiefe des Toasters stürzen ließ und die Marmelade heroisch auffing, welche mir, aus dem Kühlschrank fliehend, in die Arme fiel. Erschreckt durch eine rauschende Kaskade aus warmen Kakao stolperte ich ungewiss in Richtung Balkontür, fand Halt an dem weißen Plastikgriff und ließ mich erschöpft auf den hinter jener stehenden Klappstuhl sinken, während ich die braunen und beigen Häuserdächer überblickte, Wächter einer erwachenden Morgensonne.

Was musste der Besucher wohl von mir denken? Vielleicht amüsierte er sich heimlich und kicherte verlegen in seine bunten Gewänder oder trippelte ungeduldig mit seinem nassen Fuß auf dem glatten Holz des Wohnzimmertisches in der Hoffnung mit einer baldigen Reaktion von seinem stillen Gastgeber zu rechnen. Viele Möglichkeiten, Stimmlagen und Dialoge wanderten karavanengleich durch die Wüste meiner Gedanken, manche erfüllt von Freude, andere von Unbehagen, alle jedoch waren sie auf der Reise. Wohin? Wer weiß. In die Weite, schätzte ich. Dorthin, wo mein verhüllter Gast gewesen war.

Der Tag schritt langsam der Mittagszeit entgegen, als ich mich endlich an den nun hell erleuchteten Tisch setzte, dem Reisenden gegenüber, der respektvoll in der Tischmitte verweilte, auf ein Zeichen der Konversation wartend, und von reiner Vorbehaltslosigkeit erfüllt, doch er würde weiter warten, denn kein Wort verließ mich in diesem Moment. So saßen wir da in stiller Einheit mit dem Blick auf den jeweils anderen gerichtet, wenn man die zwei kleinen Dellen an seiner linken Seite als Augen ansehen konnte. Ich räusperte mich ein, zwei, dreimal, beugte mich nach vorn, wollte den Mund gerade öffnen, doch da hörte ich ein helles Zwitschern. Ein Rotkehlchen hatte sich mit ausreichender Distanz zu uns auf den kleinen Pflaumenbaum, der auf dem Balkon seinen Platz gefunden hatte, gesetzt und trillerte versöhnliche Töne in Richtung unserer stillen Zusammenkunft.

Vielleicht kannten sich die beiden Gäste, vielleicht auch nicht. Die Anonymität fand ich durchaus charmant und drum schloss ich für 2 Augenblicke die Augen und ließ die fremden Melodien durch meinen Geist wandern. Währenddessen verstummte der bekannte Großstadttumult gänzlich, als hätte er seine eigene Unhöflichkeit der Situation zuliebe eingestellt, und zurückblieb das seichte Heulen der Winde durch die hohen Gassen, dass sich, wie ein reisender Sänger, dem Lautenspiel des roten Musikanten anschmiegte. Es entfloh mir ein zufriedenes Lächeln. Nur ein Kind der Ironie und des Zufalls, die uns hier zusammenbrachten, wie eine Familie, die zusammen am Esstisch sitzt. Jedoch waren wir keine Familie. Wir waren Fremde, Reisende unseres eigenen Lebens, Wesen voll stummer und lauter Kuriosität.

Wenige Momente später trennten wir uns. Die Stadt tönte wieder, das Rotkehlchen segelte schweigend der Mittagssonne entgegen. Nur ich und der Gast verblieben und blickten dem kleinen Vogel sehnsuchtsvoll nach. Jedenfalls ging ich davon aus, dass der Fremde, mit seiner rechten Seite von warmen Lichtstrahlen beschienen, dies ebenfalls tat. Fragen sprudelten wieder durch Kopf und Hals, als ich die unbekannte Schrift betrachtete, die dessen Haupt zierte. Sie war kunstvoll mit schwarzer Farbe gezogen, voll Rundungen und Strichen. Ein Kunstwerk, das nur darauf wartete, dass ihm jemand die Ehre des ersten Lesens erwies. Voll Verlegenheit war ich deshalb in meiner Unwissenheit gegenüber jener Schrift und der Kultur, die sie so freundschaftlich verfasst hatte. Zum ersten Mal erklang in mir der Ton der Überwindung, der Wille aufzustehen und jenes ferne Land zu ergründen. Ich würde es mir überlegen.

Schließlich brach der Nachmittag an und mit ihm die vielen kleinen Imperative, denen es sich zu widmen galt. Allerdings war der bunte Besucher nie weit entfernt. Ironisch, bedachte man die Weite, aus welcher er gekommen war. Und wie ein farbenfroher Klebezettel blieb mir sein Bild ständig im Gedächtnis, wie ein Abenteurer, der ein wertvolles Artefakt nicht loslassen will. So näherte sich die Sonne schüchtern dem Horizont an, als ich mich wieder an dem Tisch einfand, ermüdet durch den Tag und seine Fragen. Umso mehr beglückte mich die Stille, die sofort zwischen uns einkehrte, als hätte ich meinen Stuhl nie verlassen. Wieder vergingen die Sekunden, Minuten, Momente und zu keinem Wort geneigt saßen wir uns gegenüber. Wäre seine braune Papierhülle eine raue und steile Felswand, wie lange würde es wohl dauern sie zu erklimmen? Was würde oben auf mich warten? Vielleicht ein Fleckchen dunkelgrünes Gras, auf welchem man, erschöpft von dem Aufstieg und der Hitze des vergehenden Tages, der Sonne beim Untergehen über tiefen Schluchten, belebt durch fremde Flüsse, zuschauen könnte. So wie wir es nun durch die müden Fenster der Wohnung taten.

Mit dem Einbruch der Nacht und der langsamen Ankunft des kühlen Vollmonds begannen sich meine Gedanken zu beschleunigen. Erst in spielerischem Zickzack, dann in Kreisen, als wären sie selbst kleine bunte Monde, die den Reisenden umrundeten. Je mehr das blendende Mondlicht uns ummantelte, desto schneller wurden sie. „Kling!“, klang es plötzlich. „Kling!“ ertönte es erneut. Zwei der kleinen Himmelskörper mussten kollidiert sein und kreuzten tapfer ihre Degen am Nachthimmel meines Verstandes. „Kling Kling Kling!“ Das metallische Klirren wurde frequenter, hastiger, während meine Hand langsam damit begann, meinen Besucher wie eine Viper zu umschlängeln. Nun wusste ich ganz genau, welche Einfälle dort um Leben und Tod fechteten und mir blieb nichts anderes übrig, als die Zuschauerrolle einzunehmen. „Kling Kling Kling Kling!“ Aus dem gesitteten Tugendgesteche wurde ein hitziger Schlagabtausch. „Zissssschhhhhh“, machte es, denn mit einem kämpferischen Knistern schmolzen ihre Klingen, während meine Hand das bunte Gewand meines Gegenübers packte. „Wusch!“ immer heller wurde es, als meine zweite Hand sich erhob und scharf wie eine Klinge auf den Gast zuschoss. Ich konnte nicht denken, nicht einmal meinen Blick aus blassem Entsetzen abwenden, geschweige denn, dass ich wusste, dass ich dies überhaupt wollte. Es lag nicht mehr in meiner Hand. Flamme um Flamme entstieg den Kämpfern, heller und heller wurde das Licht und tiefer und tiefer fiel ich in eine paradoxerweise eiskalte Trance. Ein letztes Mal gelang mir ein kurzer Blick aus dem Fenster, auf den Mond, die Schemen der Stadt und auf den Sternenhimmel, an dem ich, so glaubte ich jedenfalls, zwei winzige Sonnen glühen sah.

Als ich am nächsten Tag auf dem sehr unbehaglichen Wohnzimmerstuhl erwachte, hatte die Sonne schon ihre Farben in jede Ecke der Wohnung gestrichen. Sie war eine gründliche Malerin. Zu meiner Überraschung war mein Gast geblieben und verweilte mit ein, zwei Knicken in seinem Gewand auf dem Tisch. Ich fand in meiner Verlegenheit bezüglich der letzten Nacht doch eine Portion Frohsinn, richtete mich auf und ging schließlich ohne weitere Worte oder bloß ein Räuspern zu äußern. Wohin? In die Weite, schätzte ich und entschied mich dabei, das Paket nicht zu öffnen.

Unerwartet? Vielleicht.

Die Sonne geht unter und wir reden über nichts was eine Bedeutung hat.

Die Sonne geht unter und ich sehe unsere Zukunft in der Ferne.

Ich schließe die Augen.

Ich will hier sein, genau hier für immer.

Wir reden über die Zukunft als sei sie in Stein gemeißelt.

Wir reden darüber zu gehen und wieder zukommen obwohl wir eigentlich hier bleiben wollen.

Hier wo wir jeden Marienkäfer kennen.

Mein Leben unterteilt sich in Momente und Erinnerung und in Gefühle und wenn ich an dich denke ist alles warm.

Wir reden darüber später zusammen zu wohnen und zum Studieren weg zu ziehen.

Mein Leben ist so weit, wie der Horizont und doch so kurz wie dieser Sonnenuntergang.

Wir reden über nichts was eine Bedeutung hat und ich weiß, dass du es auch spürst.

Die Unsicherheit, die Nervosität aber auch den Mut und die Freude.

Unser ganzes Leben liegt noch vor uns, aber selbst wenn wir für immer hier in diesem Moment bleiben, könnte ich mir nichts schöneres vorstellen.

Jeder Moment ist ein Teil meines ganzen weiten Lebens.

Diese Weite ist unbeschreiblich und macht mich aus.

Die Weite lässt sich unterteilen in Menschen, Gefühle und Erinnerungen.

Ich weiß, dass du sie auch siehst und spürst, dass du auch Angst hast vor jedem Schritt,

aber jetzt zählt nur die Belanglosigkeit.

Und mit jedem Schritt den ich gehe weiß ich, dass du hinter mir bist.

Mit jedem Schritt den ich falle, weiß ich dass du mich auffängst.

Mit jedem Schritt den ich rückwärts gehe weiß ich, dass du mich wieder nach vorne schubst.

Irgendwann werde ich auf all dies zurückblicken und ich hoffe ich kann die Sonne noch sehen, dein Lachen noch hören und die Wärme und Geborgenheit spüren.

Und ich hoffe die Sonne, der Mond und die Sterne strahlen noch gleich und ich hoffe, dass mein Leben sinnvoll war und ich etwas gutes getan habe, und ich hoffe das Gras riecht noch frisch und deine Eltern grüßen mich noch und wir treffen uns an der Ecke.

Ich hoffe, dass wenn mein ganzes weites Leben vorbei ist, die Sonne mich nachhause bringt.

Es gibt viele Geschichten auf dieser Welt. Märchen und Sagen, Fabeln und Legenden, Tragödien und Komödien, Romanzen oder Heldengeschichten. Geschichten aus der Fantasie, Geschichten aus der Realität oder Geschichten, bei denen man es nicht so genau weiß. Lügengeschichten, Wharheitserzälungen oder einfach Wahnerzählungen. Geschichten, die spontan erfunden werden und kaum die Oberfläche kratzen oder Geschichten, die in die tiefe gehen. Und dann gibt es noch die Lebensgeschichte.
Und meine Lebensgeschichte ist alles andere als schön. Man könnte sie ebenso wenig einfach und simpel nennen, wie man sie fröhlich nennen könnte.
Aber das ist in Ordnung, denn am Ende des Tages, hat nichts einen wirklichen Sinn.

Ich heiße Edgar Egal und ich bin Ordnungspolizist. Ich arbeite in Berlin der 1920er Jahre und jeder schwärmt hier von Feiern und dem beliebtem Schlager, aber ich halte es alles nur für unsinnig. An meiner Stelle am Berliner Hauptbahnhof kommen mindestens zwei verlorene Tänzer oder Sänger vorbei und fragen mich nach dem Weg zum Potsdamer Platz. Es hängen hier Schilder. Wenn sie den Weg dorthin nicht finden, werden sie den Weg an das Rampenlicht auch übersehen.
Jeden Tag verbringe ich meine Zeit damit, Gauner wieder auf den rechten Pfad zu rücken. Das ist leichter gesagt, als getan. Ich muss jeden Morgen um Punkt 5 Uhr an meiner Arbeitsstelle sein und leider ist der Bahnhof der anfälligste Ort für Kriminalitäten. Neben den toten Zügen bewegen sich die Diebe wie Schatten und wenn ich eine Frau schreien höre, weiß ich, dass die Bande der Berliner Schatten nicht weit ist. Meine Arbeit ist es eigentlich, sie zu verhaften und zur Station zu bringen und früher habe ich das auch getan. Aber ich habe keine Nerven mehr dafür. Die Kriminellen lernen nie aus ihren Fehlern. Warum soll ich sie festnehmen, wenn ich jeden Tag das selbe tun muss? Sie sind doch harmlos. Ich darf aber nicht zu unforsichtig sein. Ich habe nämlich so einen Vorsitzenden, Herr Petermann. Ich darf also nur 3 mal am Tag ein Auge zudrücken. Und das wissen die Diebe. Wir haben also eine Art Vertrag. Der steht aber nur weil ich keine Lust habe einen Haufen Papierkram auszufüllen. Bei der Häufigkeit der Diebstähle verliere ich doch den Überblick und ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.

Warum erzähle ich euch das alles? Ach ja. Lebensgeschichte. Wie bin ich hier gelandet? Warum bin ich noch hier wenn ich es so furchtbar finde? Frag ich mich auch.

Der einzige Grund, weshalb ich noch hier bin, ist meine Familie. Mir kann alles egal sein, aber an meine Familie kommt keiner heran.

Gut haten wir es knapp. Ich will es nicht zu sehr in die Weite ziehen.

Ich bin arm aufgewachsen. An meinem achten Geburtstag verließ uns mein Vater. Wenn man ihn überhaupt so nennen kann. Es blieben nur ich, mein Bruder und meine arme Mutter zurück. Wir konnten nirgendswo hin und wir verbrachten Jahre auf der Suche nach Unterkunft. Meistens schliefen wir in einem engen Zimmer in einer Gaststätte, die zum Zertrümmern drohte. Das ist, wenn wir es uns an diesem Abend leisten konnten. Im Alter von 14 Jahren hatte ich mehr auf einer Parkbank oder in einer verlassenen Gasse übernachtet als ich auf den Fingern zählen konnte. Aber dann begann ich bei einer Zigarettenfabrik zu arbeiten und konnte es mir öfter leisten für ein Bett zu bezahlen. Aber ich ging nicht mehr zur Schule und ich merkte wie ich von rebellischen Obdachlosen wie ich beeinflusst wurde. Im Alter von 17 Jahren begann ich den größten Fehler meines Lebens. Aber dieser verwandelte sich in den größten Segen, den ich mir damals hätte vorstellen können. Ich brach, zusammen mit einigen Freunden, nachts in einen geschlossenen Markt ein um Essen zu stehlen. Aber wir wurden von einem Offizier erwischt und er schleppte uns zur Station ab. Aber er überlegte es sich anders. Er machte uns ein Angebot. Wir sollten eine Ausbildung zu Polizisten abschließen und im Gegenzug würde er uns nicht verraten. Ich verstand den Grund für seine Kompromissfreudigkeit damals nicht. Aber mit der Zeit lernte ich, dass er bloß das Interesse hatte Kinder von den Straßen zu holen und sie zu beschützen. Und das konnte er nur erreichen indem wir uns selbst beschützten. Dafür werde ich ihm mein Leben lang dankbar sein. Ich sah dieses Angebot als Ausweg aus unserer Armut und dies war es auch. Ich verdiene als Ordnungspolizist genung Geld, um meiner Familie das Leben finanzieren zu können.
So groß ist sie aber nicht mehr. Letztes Jahr erkrankte mein Bruder an einer mysteriösen Seuche und satrb mit nicht mehr als 18 Jahren.
Ich bin nun 25 und frage mich, was ich hier überahupt noch mache. Ich kann meine Arbeitskollegen nicht ausstehen. Sie benehmen sich alle wie ein Haufen Marionetten für den Affen, der uns da oben mit seinen Waffen herumkomandiert. Ich leide daran, jeden Morgen aufstehen zu müssen um den selben Idioten am Bahnhof sagen zu müssen, wie albern ihre Streiche sind. Ich habe keine Nerven mehr, die Kriminellen einzusperren. Sie werden doch sowieso wieder herausgelassen oder entkommen irgendwie und der ganze Blödsinn fängt wieder von Neuem an.

Meine Mutter liegt nun auch im Sterben. Ihre Leber hat den ganzen Alkohol wohl nicht ertragen.

Was mache ich hier denn noch? Der einzige Freund, den ich habe, ist ein Hund. Man kann Menschen nicht vertrauen. Sie benutzen und dann verlassen sie einen und brechen damit all ihre leeren Versprechen. Deshalb gehe ich auch nicht auf Parties. Wozu auch? Ich brauche keine Freunde. Aber wegen meinem Chef werde ich nun gezwungen auf eine zu gehen. Er meinte ich soll mich „schick“ anziehen. Was soll das heißen? Ich ziehe an, was ich immer an habe.

Ich habe es anfangs wirklich versucht. Glauben Sie mir! Ich habe versucht der Held zu sein, aber es war alles für nichts. Und wenn schon die Erde morgen untergeht? Soll sie doch! Ist mir doch egal. Ist mir auch recht. Das letzte, was ich nun noch brauche, ist, dass meine Vorsitzenden herausfinden, dass ich in Wahrheit eine Frau bin. Eigentlich heiße ich ja Lisa Lieblich. So steht’s auf der Geburtsurkunde. Meine Familie weiß aber auch nicht, dass ich auf der Arbeit Geschlechter wechsle. Wenn meine Mutter das wüsste, würde sie wirklich in den Tod gehen. Aber es ist nunmal der einzige Weg erfolgreich zu sein in dieser Welt. Als Frau wäre ich niemals Polizistin geworden. Das Wort existiert nicht einmal! Männer sind so egoistisch und eingebildet. Deshalb ist es so einfach für sie! Sie machen ein System was nur für sie gedacht ist. Und dann wir davon geredet, dass das selbe Geschlecht die Frauen beschützen soll! Ich bitte Sie! Ich kann mich besser beschützen als irgendein Testosteron-geladenes Kind.
Lisa Lieblich? Die gibt’s nicht mehr. Aber ganz ehrlich, wenn man sie entdeckt, ist es dem Edgar aber nun auch egal.

Der Weltuntergang ist noch weit weg. Aber wenn die Weite sich kürzt, kann ich Sie versichern, dass meine Nerven kürzer sind.
Sind wir jetzt fertig?

Die Wellen schlagen über meinem Kopf zusammen und drücken mich hinunter, wo unsichtbare Fesseln mich zu ketten scheinen; zu ketten an die Dunkelheit, der ich so lange entronnen. Ich lächele... ein letzter Atemzug, verwandelt in tanzende Blasen. Wer weiß, was diese auf ihrem Weg noch alles sehen werden.

Ich begrüße die Tiefe mit einem Nicken und der Gewissheit, dass diese Begegnung anders ist als alle vorherigen und dass ich nicht erneut werde entkommen können. Und ich breite die Arme aus, lasse mich einen Moment treiben, dann schließe ich die Augen.

Ich habe erreicht, wohin ich schon immer gehörte.

Null. Eins. Eins. Null. Nullen und Einsen, Einsen und Nullen. Mehr braucht es nicht, um die Festplatte so viel leistungsstärker zu machen als mein Gehirn. Ein Blick in meinen Kalender zeigt mir, wie ich den Tag zu verbringen habe. Fotos zeigen längst vergessene und verblasste Momente. Die neuesten Nachrichten spiegeln die Grausamkeit der Welt wider und geben mir ein Gefühl von innerer Leere. Ein Druck lastet auf mir, der sich nicht in Worte fassen lässt. Ich habe alles, was ich brauche und so viel mehr; die Türen zur Welt stehen mir offen; ich könnte alles sein und alles werden, was ich nur will. Und doch sitze ich hier und schaue untätig zu, wie Sekunde um Sekunde vergeht, wie die Tage verstreichen und sich nichts in meinem Leben ändert, während um mich herum alles brennt. Ein Druck begleitet mich durchs Leben und ist er nicht da, so fehlt etwas. Der Druck ist mein stetiger Begleiter. Ich kann nicht sagen, wann er mir die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte – dieser Tag stand nicht in meinem Kalender.

Vielleicht sollte ich diese Tatsache als Beweis gegen die Unfehlbarkeit des Systems sehen und mich daran erfreuen. Die Festplatte ist zwar leistungsstärker, doch nicht allwissend. Die digitale Welt hilft bei der Schaffung neuer Möglichkeiten, doch ist nicht allmächtig. Sie erleichtert mir und zahlreichen Anderen den Alltag, doch je weiter sie fortschreitet, desto schwerer wiegt der Druck... Er schlägt seine Krallen in mein Fleisch und verzieht den Mund zu einem hämischen Lächeln. Er spottet über mich:

"Sag mal Schätzchen, was haben wir heute eigentlich erreicht?"

Nenn mich nicht so.

"Wieso denn nicht? Der Name passt zu dir. Du verhältst dich schließlich so, als würde dir alles geschenkt werden – sorglos. Ist dir klar, dass das nie passieren wird? Aus dir wird nie etwas werden, du wirst ewig hier festhängen, nichts aus deinem Leben machen und einen bedeutungslosen Tod sterben. Auf deinem Grabstein wird es heißen "Geliebtes Kind" – eine scheinheilige Lüge, verbietet die Höflichkeit doch eine treffendere Beschreibung. "Enttäuschung" klingt gut, meinst du nicht?"

Nein. Halt den Mund, sei leise. Ich bin das nicht und werde so nicht enden. Du irrst dich! Du musst dich einfach irren...

Der Blick in den Spiegel tut weh. Ich stehe neben mir selbst und schaue mich aus jüngeren Augen an, die zu fragen scheinen, was nur aus uns geworden ist. Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Noch immer bin ich ich, wenngleich verändert; doch ist Veränderung nicht der Teil des Lebens, der es lebenswert macht, der uns zu Menschen macht? Und sehen wir nicht uns und den Menschen, die wir lieben, unendliche Male dabei zu, wie sie sterben oder ein Teil von ihnen aufhört zu existieren, um zu etwas Anderem zu werden? Wer bestimmt also, dass ein Tod bedeutungslos ist, wo er doch die Stufe zu einem anderen Selbst sein kann, die es zu überwinden gilt?

Wieso habe ich solche Angst vor dem Ende...?

"Weil es für dich bloß noch eins geben wird, Dummerchen. Du hast Veränderungen seit Ewigkeiten besser gemieden als eine Katze das Wasser. Früher warst du anders. Du hattest Ziele. Doch hast du nie auch nur Anstalten gemacht, dich oder dein Umfeld anzupassen, um diese zu erreichen. Und schau dich heute an. Blickst nicht mal mehr in den Spiegel, um deinen eigenen Fragen zu entrinnen."

Der Druck spricht Wahrheit. Als kleines Kind schien die Welt so groß, die menschliche Existenz so lang und die Zeit, sie schlich dahin. Früher war der Tee, den ich trank, stets zu heiß; heute bin ich froh, wenn er nicht von gestern ist und Staub auf seiner Oberfläche schwimmt. Ich wollte damals nicht ins Bett, heute kann ich es nicht. Alpträume jagen mich umher; Gedanken halten mich wach. Das Leben ist unnahbar geworden, wie ein alter Freund. Ich weiß nicht, wann wir auf Wiedersehen gesagt haben, ob es jemals dazu gekommen war. Es hatte sich still davongeschlichen und nun stehe ich hier und wann immer sie unser Lied spielen, muss ich mitsingen und zurückdenken an die alten Zeiten; die guten alten Zeiten, in denen ich noch wusste, was ich mal mit mir anfangen wollte. Die Träume und Ideen stecken noch in mir, doch sind sie begraben unter einem Haufen unwichtiger Fakten und einem Mantel aus Bitterkeit.

Vielleicht ist es an der Zeit, diesen aufzuheben und die Fakten zurück in ihre Regale zu stellen.

"Aber klar doch, Hoheit, etwas Liebe, Zuneigung und Weltfrieden und schon wirst du wieder zu einem naiven Kind. Oh, warte... unter diesen Voraussetzungen wird da wohl eh nichts draus. Schade, schade."

Nein. Halt den Mund, sei leise. Ich bin nicht naiv. Ich habe Hoffnung. Und du wirst mir diese nicht in drei Sätzen wieder nehmen! Ich war lange genug ein Kind und lange genug nicht erwachsen. Ich habe lange genug nicht gelebt. Tage und Nächte in meinem Zimmer verbracht, ohne zu wissen, wie spät es war. Sorgen ertränkt und mein Kopfkissen mit Tränen gewässert. Ich habe dich lange genug genährt. Du bist das Problem, nicht ich. Du bist es. Du bist es, der nicht selbst laufen kann. Der nichts ist, solange er mir nicht ins Gewissen redet. Du bist es, der mich fesselt.

Die Wellen schlagen über meinem Kopf zusammen und drücken mich hinunter, wo unsichtbare Fesseln mich zu ketten scheinen; zu ketten an die Dunkelheit, der ich so lange entronnen. Ich lache über diesen kläglichen Versuch und sie fallen ab.

Ich begrüße die Tiefe mit einem Nicken und der Gewissheit, dass diese Begegnung nicht die letzte sein wird und dass ich ihr immer wieder werde entkommen können, wenn ich nur will. Und ich breite die Arme aus, lasse mich einen Moment treiben, dann breche ich durch die Oberfläche.

Ich bin hier und ich lebe und alles wird gut werden.

Und kommt die Flut, gehe ich aus dem Wasser und warte auf sanftere Wellen.

Meine Gedanken. Ist es dir schon mal passiert, dass deine Gedanken genau im falschen Moment irgendwo ins Weite schweifen? Naja genau das ist mir passiert bzw. passiert mir oft. Wie zum Beispiel jetzt, ich höre meine Mutter rufen, aber anstelle ihr zu antworten, denke ich an diese Frau zurück, die unter den Trümmern lag und die ganze Zeit ihren Sohn rief. Er konnte sie zwar hören, aber ihr helfen konnte er genauso wenig wie sich bewegen, denn auf sein Bein war etwas großes Schweres gefallen und er hing fest. Ich glaube aber, dass niemand versteht, wovon ich rede, daher werde ich von vorne beginnen an den Tag, an dem alles anfing, an dem ich glaub, 6. Februar in Syrien. Ich saß ganz normal im Wohnzimmer, das gleichzeitig auch das Zimmer war, in dem ich lernte und auch schlief und es mit der ganzen Familie teilte. Wir hatten nämlich nur eine 2-Zimmer-Wohnung für 5 Personen, das eine Zimmer für meine Eltern und das andere für den Rest. Also, ich saß auf dem Sofa und lernte für die Schule, als plötzlich der Boden anfing zu beben. Ich hab mir erstmal nichts dabei gedacht, weil Syrien jetzt nicht wirklich ein Erdbebengebiet ist, aber mein Vater wurde nach mehreren Beben unruhig und rief meinen Onkel an. Mein Onkel wohnt zwar nicht in Syrien, aber mit Erdbeben und Wetter kennt er sich aus, ich glaub er ich Geologe oder so. Er riet uns, dass wir uns, sobald irgendetwas auf den Boden fällt, unter einem festen Möbel in Sicherheit bringen können. Rausgehen wäre nämlich gefährlich, weil wir im 12.Stock wohnen und das Beben, während wir die Treppen runtergehen, stärker werden kann und es dann zu spät für uns wäre und einen Aufzug haben wir nicht. Und tatsächlich, wenige Minuten, nein Sekunden später fingen die Lampen an zu flackern. Mein Vater sagte, wir sollen uns unter dem großen Esstisch verstecken, er wolle noch Wasser oder Essen oder so holen, falls wir hier festhängen. Alle hörten auf ihn, nur ich blieb sitzen und dachte über die Schule nach. Die ganze Zeit schweifen meine Gedanken ins weite Meer der Gedanken. Es ist nicht mal meine Absicht, aber es passiert einfach, dann denke ich über etwas nach und bin ganz weit weg von der echten Welt. Dieses Mal dachte ich über den Ausflug nach und den strengen Anweisungen der Lehrer, ich bin soweit mit meinen Gedanken, dass ich nicht mal bemerke, dass meine Mutter mich anstupst, erst als sie es fester macht, wache ich aus meinen Gedanken aus. Alle sind unter dem Tisch, außer mein Vater, ich krieche auch zu ihnen runter und schon fällt die erste Lampe. Das ist aber ein richtiges Erdbeben. Plötzlich hör ich meinen Vater stöhnen. Ich stehe auf, um zu sehen, was passiert ist. Erschrocken halte ich mir die Hand vor den Mund, mein Vater lag auf dem Boden und die Küchentheke mit dem ganzen Geschirr ist auf ihn gefallen. Er sagt mir, ich soll mich nicht um ihn sorgen und das Essen zu meinen Geschwistern bringen. Das tue ich auch, aber anstelle bei ihnen zu bleiben wie er es wollte, gehe ich wieder zu ihm und versuche die Theke anzuheben. Es gelingt mir dann letztendlich mit dem Fuß und ich will wieder aufstehen, als der Boden unter mir sinkt. Mein Vater ruft, ich solle unter den Küchentisch gehen, da es zu spät wäre, zum Rest der Familie zu gehen. Er passte aber nicht unter den Tisch und sagte, das schaffe er schon und genau in dem Moment fiel die Decke, ich weiß nicht genau, was danach passiert ist, weil, wenn ich dem Arzt richtig zugehört habe, mein Gehirn diese bösen Erinnerungen verdrängt hat. Aber man kann sich eigentlich auch denken, was passiert ist. Wie ich gerettet wurde weiß ich auch nicht mehr, ich weiß nur, dass ich dann auf einer Liege aufwachte und meiner Tränen und Blut überströmten Mutter ins Gesicht sah. So landeten wir dann in den Zelten, dort mussten wir uns mit zwei fremden Familien ein Zelt teilen. Es war so kalt dort und es gab so viel Arbeit, jeder hatte sein Zuhause oder gar alles verloren und musste jetzt hier leben. Aber zum Glück hatte ich noch meine weite Gedankenwelt, in der mein Vater noch lebte.

Ende –

Wir schreiben das Jahr 300 nach Christus in der Wüste Gobi. In der Oase von Mohamed und seinem Großvater beginnt die Geschichte. Mohamed ist ein eher kleinerer Junge mit sehr dunklen Haaren. Er hilft oft seinem Großvater bei dem Verkauf von Kamelen, die sie besitzen. Das macht ihm sehr viel Spaß, weil er dann das Verkaufen für die große weite Welt übte, wie sein Großvater zu sagen pflegte. Er durfte die Kamele auch füttern und reiten.

Sein Lieblingskamel hieß Kadu. Sie standen sich sehr nahe. Wenn er dann doch mal für die Schule ins Nachbardorf reiten musste, ritt er immer auf Kadu, der ihm sehr treu war.

Eines Tages ging er ins benachbarte Dorf, um die Schule zu besuchen. Dort überquerte er den Marktplatz und sah eine Menschenmenge, die einen merkwürdig gekleideten Mann umringte. Auf dem naheliegenden Schild stand „Prüfung für mutige Wüstenführer“. „Treffpunkt vor Sonnenuntergang hier auf dem Marktplatz“. Mohamed war begeistert und wollte sofort mitmachen, da er sich gut in der Wüste Gobi auskannte und da er seinem Großvater den Wunsch erfüllen wollte. Er beschloss nach der Schule wieder zum Marktplatz zu gehen, um sich anzumelden.

In der Schule angekommen konnte er sich den ganzen Tag nicht auf den Unterricht konzentrieren, weil er sich vorstellte, wie die Prüfung aussehen würde, die er unbedingt bestehen wollte.

Als die Schule dann endlich zu Ende war, freute sich Mohamed auf die Prüfung und rannte zu Kadu. Er gab ihm noch schnell etwas zu essen und zu trinken. Danach sprintete er los, um rechtzeitig am Treffpunkt anzukommen. Am Treffpunkt standen schon viele andere Kamelführer, die ihm bekannt vorkamen. Der Veranstalter der Prüfung war der merkwürdig gekleidete Mann, den Mohamed noch nie zuvor gesehen hatte. Dieser Mann nannte sich einen echten Abenteurer und sagte, dass er noch einen mutigen Kamelführer für seine Reise benötigte. Er versprach eine hohe Belohnung, für denjenigen, der die Prüfung bestand und mit ihm durch die Wüste Gobi ziehen würde, um den legendären Schatz der Wüste zu finden.

Die Prüfung bestand darin ein wildes Kamel zu zähmen. Jeder hatte 3 Versuche. Die ersten 2 Versuche gingen bei jedem daneben. Entweder wurden sie vom Kamel heruntergeworfen oder sie schafften es einfach nicht, das Kamel ruhig zu halten. Mohamed überlegte, wie er das Kamel zähmen konnte. Mit roher Gewalt und Stärke konnte man es nicht zähmen, aber vielleicht mit ein bisschen Intelligenz. Also holte er aus seiner Kamelfelltasche seinen letzten Apfel heraus und gab ihm dem Kamel. Es beruhigte sich und aß den Apfel ganz auf. Nun konnte sich Mohamed dem Kamel nähern, es streicheln und unter seine Kontrolle bringen. Somit zähmte er das Kamel und bestand die Prüfung.
Erst wunderte sich der Abenteurer über einen so kleinen Jungen, der ein sehr wildes Kamel gezähmt hatte. Doch dann war sich der Abenteurer in seiner Wahl sicher und gab Mohamed die halbe Belohnung. Der Abenteurer namens Nick sagte zu Mohamed, dass er die andere Hälfte der Belohnung später bekommen würde. Nick setze Mohamed auch in Kenntnis, dass sie sich am Stadttor vor Morgengrauen treffen würden. Es war schon spät geworden, als Mohamed Kadu losband und nach Hause zu seinem Großvater ritt. Zu Hause angekommen fragte er seinen Großvater, ob er mit dem Abenteurer aufbrechen durfte, doch sein Großvater erlaubte es nicht. Also versteckte er die Belohnung in seinem Kopfkissen und schlief ein. Am nächsten Tag schlich er in aller Frühe mit Kadu zum Stadttor.

Das Abenteuer in der großen weiten Wüste konnte beginnen.

Als er fast 100 m vom Stadttor entfernt war, sah er schon den winkenden Abenteurer. Also ritt Mohamed noch schneller vor Freude. Als er bei Nick ankam zeigte er ihm eine Karte, wo der Schatz sich befinden könnte. Mohamed kam die Stelle bekannt vor und er dachte, dass er den ungefährlichsten Weg kannte. Also zogen sie los in Richtung Süden.

Derweil wachte sein Großvater auf und wollte Mohamed wecken, doch sein Bett war leer. Er suchte in der ganzen Hütte. Sie besaßen nicht viel, daher konnte er nur weg sein, um den Wunsch seines Großvaters zu erfüllen. Das begriff sein Großvater sehr schnell und organisierte eine Suche mit Bekannten von Mohamed.

Mohamed und Nick ritten weiter bis sie an einem merkwürdig geformten Felsen ankamen. Auf Nicks Karte war dieser Fesen abgebildet und darunter stand ein kleiner Text in alter Handschrift:

Dem Auge du nicht trauen darfst, sondern dem Finger du folgen musst“

Mit diesem Text konnte man aus dem geformten Stein ein kleines Augenlid erblicken, doch auf der rechten Seite war ein kleiner Finger abgebildet, der nach Westen zeigte. Fortan liefen sie Richtung Westen.

In der Zwischenzeit suchte sein Großvater und die anderen vergeblich: in der Schule, auf dem Hof, bei den Kamelställen und seinem Lieblingsplatz dem abgelegenen Baumstamm, der recht hohl war. Bis schließlich ein anderer kleiner Junge bemerkte, dass auch der Abenteurer verschwunden war. Da dämmerte es dem Großvater. Mohamed hatte ihn gefragt, ob er mit dem Abenteurer auf die Suche des Schatzes gehen durfte. Also entschied sich der Großvater kurzerhand den beiden „Abenteurern“ zu folgen.

Die Abenteurer waren mittlerweile an einer Höhle angekommen, vor der ein Rätsel stand. Auf dem Boden lagen viele kleine und große Tafeln aus Wüstenstein in denen mehrere Symbole und Zeichen eingemeißelt waren. Mohamed und Nick überlegten, wie sie das Rätsel lösen sollten. Nick sah auf seine Karte und bemerkte noch einen kleinen Text, der unter der eingezeichneten Höhle stand.
Er las in laut vor: „Um den Schatz zu erlangen, du die 4 Schätze der Wüste erkennen sollst“.

Mohamed bekam einmal von seinem Großvater gesagt, dass die 4 Schätze der Wüste die wichtigsten Sachen der Wüstensiedler seien“. Also nannte er ihm einen der 4 Schätze – das KAMEL. Was er auch noch zu Ohren bekam, dass die anderen drei Schätze jederzeit zu erblicken waren. So schaute sich Mohamed um und erkannte die Lösung. Die anderen drei Schätze waren: die SONNE oder der MOND, das WASSER und der SAND.
Also schob er die Steintafeln so in die Reihe, dass als erstes der Sand zu sehen war, dann die Sonne oder der Mond, dann das Wasser und zum Schluss die Kamele. Was dann passierte hätte sich keiner vorstellen können.

Der schwere Höhleneingang schob sich auf und was sie dann sahen, war erstaunlich und wunderschön.
Goldmünzen, wohin man sah, glitzerten in den Augen der Abenteurer. Mohamed konnte es kaum fassen, er hatte den Schatz der Wüste gefunden. Nick ging als erstes in die Höhle hinein, kramte zwei große Beutel aus seiner Tasche. Er füllte beide und gab einen Mohamed. Er sagte zu ihm, dass ist die andere Hälfte der Belohnung und er hätte seine Aufgabe sehr gut erledigt.


Plötzlich hörte er hinter sich Rufe. Als er sich umdrehte erblickte er seinen Großvater. Er freute sich so ihn zu sehen und stellte den Beutel ab. Er rannte zu seinem Großvater und umarmte ihn, der das erwiderte. Später ritt er dann mit seinem Großvater und Nick in sein Wüstendorf. Dort konnte er dann den Wunsch seines Großvaters erfüllen:
Eine größere Kamelfarm mit größerer Hütte und Garten. Die jetzige Farm und Hütte hätten sie schon bald verkaufen müssen. Dadurch konnte sein Großvater ihm eine bessere Zukunft ermöglichen. So konnte Mohamed einen Teil der großen weiten Welt bereisen und dann wieder zurück in sein geliebtes Wüstendorf zurückkehren, zu seinem Großvater und seinem Lieblingskamel Kadu.

Ja, es war lange her, sehr lange. Doch trotz allem konnte ich mich noch sehr gut erinnern. Und jetzt will ich mein Wissen an euch weitergeben. Es war lange her, ich selbst war nicht dabei, da man auch bedenken muss, dass ich erst 12 bin. Wieso ich es weiß, wenn ich nicht dabei war? Man hat diese Geschichte im Laufe der Jahrhunderte in meiner Familie weiter erzählt. Also es war im Jahr 912. Und ja, es waren Wikinger. Und heute wird ihnen nach gesagt sie wären Plünderer. Doch das stimmt nicht. Vielleicht haben sie manchmal ein bisschen über die Stränge geschlagen, doch im Grunde waren sie richtig gute Geschäftsleute, und meine Vorfahren. Ist doch klar, dass ich sie verteidige. Außerdem haben wir noch etwas ganz Wichtiges gemeinsam. Wir alle lieben die Weite. Doch erstmal, fangen wir an : Hell stand am Feuer. Sie hörte wie es beruhigend knisterte und raschelte, und die Glut höher zu kommen schien. Sie dachte traurig: ,,Wie ähnlich sie mir ist. Genau wie die Glut versuche ich hier wegzukommen, doch es klappt nicht.“ Da fasste sie einen Entschluss: ,,Ich werde hier keine Nacht länger mehr bleiben, auf keinen Fall. Es brachte nichts hier dumm rumzusitzen und hier zu warten, bis sie alt und grau wurde. Was hielt sie hier noch in diesem nassen verregneten Skandinavien? Nichts. Absolut nichts. Ihre Eltern waren vor mehreren Monden gestorben, ansonsten hatte sie hier niemanden, die Ernte ging hier nicht auf. Und sie hatte Sehnsucht nach dem Meer. Also gut, es war beschlossene Sache. Sie ging noch heute früh von hier weg! Einige schlossen sich ihr an und sie packten ihre Sachen, doch allzu viele waren es nicht, da das Meer gefährlich war und bei solchen Reisen immer nur die Hälfte zurückkam oder ankam. Doch die, die mitkamen, waren bereit das Risiko einzugehen. Denn alle von ihnen wollten nur eins, nämlich ein besseres Leben führen. Und als alle an Bord waren fuhren sie los. Mit vereinter Kraft (da sie rudern mussten) war das Dorf schon bald hinter einem Hügel verschwunden. Manche sah man noch vereinzelt winken, doch dann waren irgendwann alle verschwunden. Da sie oben an Deck saß, hatte sie genügend Zeit und zwar zum Nachdenken. Endlich, dachte sie, ich bin wieder auf dem Meer, wo die Weite mich hinzieht werde ich ihr folgen. Und doch hatten sie einen Plan wo sie hinreisen wollten. Sie hatten vor immer nach Westen zu fahren. So würden sie hoffentlich, so munkelt man, an einen schönen tollen wunderbaren Ort kommen. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, denn sie waren in einen Sturm gerudert. Der Regen prasselte nur so auf das Deck und der Wind heulte, dass es nur so krachte. Und ihre Besatzung war bereits in Sicherheit. Sie versuchte sich unter Deck zu kämpfen, doch sie rutschte immer wieder auf dem nassen Deck aus. Gerade als eine Riesenwelle auf sie zu kam und sie mit sich reißen wollte, rutschte sie aus. Noch ein paar Meter, dann war sie bei der Luke. Doch die Riesenwelle brauchte auch nur noch ein paar Meter. So werde ich also verenden, am Grund des Ozeans. Wenigstens spüre ich dann für immer den Ozean. Doch dann senkte sich die Welle plötzlich und das Gewitter zog vorbei. Was war denn jetzt los? Wunderte sich Hell. ,,Danke, wer immer das auch war“ rief sie froh. Doch sie hatte da schon so einen Verdacht, ob es wirklich wahr war, zumindest hätte sie es so gerne. Sie liebte sie nämlich, obwohl ihre Eltern dort verendet waren. Doch sie fühlte sich ihr dadurch noch näher. Ob es wirklich die Weite gewesen war, wohl eher nicht, aber wer weiß es schon? Urplötzlich standen ihre Mannschaftskollegen vor ihr und schauten sie mit fragenden Blicken an. Sie wusste es ja selbst nicht so genau, also zuckte sie nur ahnungslos mit den Achseln. Und ging auf die andere Seite des Schiffes. Seltsam, was hatte sich nur vor ihren Augen abgespielt? Was wollte die Weite ihr nur damit sagen? Was würde passieren? Was würde folgen? So viele Fragen tummelten sich in ihrem Kopf. Doch jetzt gab es erst einmal Abendessen, Es ging nämlich schon bald die Sonne unter. Da sie wach bleiben musste für ihre Nachtruderschicht war es besser, wenn sie gar nicht erst einschlief. Sie holte sich etwas zu Essen und ging damit in eine Ecke des Bootes. Und so vergingen die Tage, Wochen, Monate und schließlich ein Jahr, als sie das letzte Mal etwas von der Weite gehört hatte oder wenigstens vom Ozean. Doch eines Abends spürte sie etwas, sie würden schon bald da sein, das wusste sie. Doch plötzlich schwammen auf der Meeresoberfläche überall tote Fische herum. Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Sie kletterte auf den obersten Mast ihres Schiffes, es war ein Pfeil und dieser führte in eine ganz andere Richtung als sie eigentlich vorhatten zu fahren. Sollte sie dem Pfeil folgen, ja, auf jeden Fall. Sie schrie zu ihren Mannschaftskollegen: ,,Süden!“, ,,Süden!“ riefen einige andere weiter. Und sie steuerten in die Richtung wo der Pfeil hinzeigte.

Nach einigen Tagen sahen sie endlich Land. Endlich! In diesem Moment wusste sie, es würde alles wieder gut werden. Die ganzen Mühen waren nicht umsonst gewesen. Sie trafen schon bald in der Bucht ein. Ihr fiel es schwer die See zu verlassen, doch irgendwann war das Schönste auch mal vorbei. Ihren Mannschaftskameraden fiel es ganz und gar nicht schwer das Deck und somit auch das Meer, die Weite, zu verlassen. Aber sie fand es schwierig, für sie war die unendliche Weite ein zweiter Teil von ihr. Doch schweren Herzens verließ sie schließlich das Schiff. Sie schaute sich um, was für ein schöner Ort. Überall grünte und blühte es. Das Warten hatte sich also gelohnt, endlich war sie da und trotz allem war sie nicht so recht glücklich. Hell erkundete erst einmal die Gegend. Sie ging in einen Wald hinein wo komische grünliche Seile von den Bäumen herabhingen. Sie ging weiter und immer tiefer in den Wald hinein. Auf einmal sprach eine Stimme hinter ihr: ,,Was suchst du hier, Hell?“ Hell drehte sich erschrocken um. Wer hatte dort gesprochen? Es war ein kleiner Affe. ,,Was bist du?“ Fragte Hell. ,, Meinst du damit meine Gestalt oder was ich wirklich bin?“ ,, Beides“ antwortete ihm Hell zögernd. ,,Von außen sehe ich aus wie ein Affe, der sprechen kann, aber im Inneren bin ich Weite“ sagte der Affe. ,, die Weite?“ ,, Ja, die Weite. Ich bin die Verkörperung von Wüsten und Meeren, ich kontrolliere sie . Ich weiß, du suchst ein besseres Leben, baue hier und du wirst hier leben können.“ Nach diesen Worten verschwand er. Hell war einfach nur noch erstaunt und doch war sie einfach nur glücklich. Sie hatte die Weite kennen gelernt und sie konnte hier wohnen. Noch ehe sie es sich versah stieß sie einen Freudenschrei aus. Alles musste raus aus dem letzten Jahr. ,,Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“