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Everything different 

 

The news travelling worldwide: 

a virus we never heard of before 

remember the last time being outside? 

No, not anymore 

 

Learning strange terms, 

we never thought we needed, 

but here we are, wishing back the norms 

and living our lives on repeated 

 

Lockdowns and masks are well-known things, 

not travelling and visiting 

is cutting off our wings, 

so the most valuable rule is distancing 

 

Blaming others for the situation, 

but solidarity is what we need 

to prevent our earth from collapsing 

you have to start adapting, 

because the numbers took speed 

and always remember your last location 

 

Not only now, but forever 

this will strengthen our society 

and saying ‘Hate will never 

be my priority.’ 

 

Not being selfish, 

but reaching out to the helpless 

and acting like sisters and brothers, 

always supporting others 

 

Sharing new invented vaccines 

to make some progress, 

but somehow poor countries fighting the disease 

are still not able to have success 

 

Surviving a pandemic 

is a story we will tell our kids, 

a memory that remains epic 

and so many things the government forbids 

 

 

Imagine the whole world grounded 

and New York City not being crowded, 

you think it is impossible 

well, CoVid was unstoppable 

 

Having virtual classes and not seeing your friends, 

was one of many side effects. 

You thought this was the end? 

We all did, 

when just another wave hit, 

which was mutated 

 

We were taking control of something we weren't prepared, 

but tried to manage it because we all shared 

the same situation and prayers, 

today this is what scares 

 

But we stick together and wait 

till' there is an update 

telling us 'everything different' 

is over and now irrelevant. 

Everything different.

These days that’s everything anyone ever talks about.

That everything has changed, that they feel caged, when will this stage be over?

Like “Wow this past year has been crazy right?”

Or

“Isn’t it strange? Despite all our efforts more and more suicide might pass the green light at the crossroad”

Sure everything is different.

But is it?

Can women walk alone at night without checking their backs?

Without having to worry about the man in black waiting with a sack for the right time to attack?

Can we be truly free?

Not thinking about what others might think if we so much as blink the wrong way or obsessing over how much we weigh?

Because “Hey, don’t be a slut and wear that” or “I don’t think you’re healthy. Here, try this diet”

We have to explain to boys that no means no over and over again without them backing off.

Because when you say no you’re considered a bitch. How could you say no then? You don’t want to be that witch who turned them down, because then the whole town would know about it.

And how could you deal with that social rejection, when it becomes the reflection you see in the mirror.

Except that mirror starts talking back and it’s not nice.

It’s a backpack full of hurt and resentment and trauma so heavy it nearly gets every woman on hear knees crying and begging please that the weight would lift off her shoulders.

But who am I to say who has it the hardest?

I’m just a woman, right?

Everything different.

But can every person express themselves?

Can they be gay or Bi or Trans or even plain straight without judgement?

Without dirty looks on the street just for holding someone’s hand or kissing them on the cheek?

Everything different.

But can every human allow themselves not to be afraid?

Of people attacking them for the way they look? Can they be an open book when they have to check every nook for enemies before they speak the truth?

Can they trust their own country’s safety system?

When we’ve seen other nations turn on their own residents because they can’t shake off all the hate and insanity and cruelty from more than 100 years ago.

Because they don’t care that they have soul, a family, a name.

All they want is see that flame burning and still feel no shame.

Like

“Oh we were taught to hate your people, it’s not our fault”

Or

“Well if you didn’t want to get shot, why did you wear a hoody?”

Everything different.

So many people talking about this new stage and how they have a lot on their plate and how desperately they’re trying to find their soulmate.

But guess what?

Every 10 seconds a child dies of hunger.

1 in 3 women is sexually harassed or raped globally.

Over 300 people of color were shot by the American police in 2019 alone.

Everything different.

But is it?

Because I am wondering when everything will be different.

Alles Anders 

Das Alltagsleben ist        ein langes Einschlaflied. 

Die gleichen Tage sind es,        die wir wie Schafe zähln': 

Ein Tag gleicht dem nächsten,        das macht uns immer träger, 

bis wir, im Schlummer schon,        nur fern noch hörn' die Strophen. 

 

Doch unerwartet werden wir        von schiefen Noten aufgeweckt, 

Das Lied, das wir einst kannten,        erklingt in neuem Ton. 

So sind wir aus dem Schlaf geschreckt,        und stellen fest: alles anders. 

Was Teil des ewigen Liedes war,        ist nun anders, alles anders. 

 

Die Sonne scheint,        die Welt doch grau. 

Verträumt seh' ich        aus verleidetem Fenster, 

versuch verzweifelt,        mich zu erinnern, 

was vor Sommern        noch gewesen, 

wie mir das Eis        auf der Zunge zerschmolz, 

wie meine Freunde        sich noch mit mir trafen, 

was die Worte waren der Strophen,        bevor der neue Teil brach an. 

 

Der Lehrer spricht,        tat er es auch einst        gegen die redenden Schüler an, 

versucht er nun,        man glaubte es kaum,        die Stille zu übertönen. 

Elend gerahmt geht der Unterricht;        wie eine Fremdsprache üben wir:         "Inzidenzwert!  Mutationsgebiet!" 

und lernen die Worte von dieser Strophe. 

Übereinander liegen die Seiten,        im verhassten Viereck         wie auf dem Schreibtisch, 

sodass ich denke, flehentlich:        Wann kann ich wieder zur Schule gehn?        Einst war dieser  Wunsch absurd. 

 

Doch endlich, dann,       zum Abend hin, 

das Chaos wird        nun abgelöst 

von täglichen Versen        der Tagesschau, 

wo sie immer         das Selbe sagen. 

Doch ihr Gedudel        macht uns müde, 

unter dunkler        Musik versinken 

wir in düsteren Traum,        in schleichenden Schlaf. 

 

Sagte ich etwa:        alles anders? 

Die Tage sind nun        elendig gleich, 

gleicher noch        als vor dem Wandel, 

und in Albtraum verfallend        wünschen wir, 

dass das traurige Lied        wieder fröhlich wird. 

 

Da siechen wir nun        erschöpft vor uns hin, 

denn was uns Mensch macht,        ward uns genommen. 

Und trotzdem sind wir        noch immer Mensch, 

das hat sich nicht geändert. 

Es ist nicht alles anders. 

Das Tagebuch 

Eintrag 1: Der Anfang 

,, Krrkr… Test: 1,2,3. Ja, jetzt sollte man mich hören. Ich bin Franz Müller. Heute ist der 26. Dezember 2019. Das ist der Beginn meiner Einträge, die ich während des Jahres fortführen werde. Das war eine spontane Idee, die mir irgendwie mal eingefallen ist, und so setze ich sie endlich in die Tat um. Ich musste lange auf ein Aufnahmegerät sparen, aber kommen wir jetzt zum Thema. Heute war ich mit meiner Mutter Ski fahren, da gerade jetzt Winterferien sind und meine Familie oft verreist. Hier gelten schon die Sicherheitsregeln vor dem Virus, also 2 Meter Abstand und Maske auf. Nach dem Skifahren gingen wir zum Hotel, in dem wir wohnten. Mir wurde plötzlich übel und ich musste brechen. Es waren nur noch ein paar Tage vor Neujahr, und jetzt passierte sowas. Ich fühlte mich nach einer Zeit besser, stehe aber noch wackelig auf den Beinen. Heute ist der letzte Tag vor der Abfahrt nach Hause, weshalb ich ein bisschen unmotiviert bin. Unmotiviert bin ich nicht nur deswegen, sondern weil ich dann auch in die Schule muss. Ich werde darüber nachdenken, wie sich das neue Jahr gestalten wird... ‘‘ 

Eintrag 4: Die Stille vor dem Sturm 

,, Krrrrkrk... Eintrag 4: Heute ist der 15. Januar 2020. Ich löschte ausversehen Eintrag 2 und 3, weshalb ich mit dem 4. anfange. Meine Eltern und ich feierten Neujahr mit meinen Großeltern, und es wurde ordentlich auf vielen Straßen mit Feuerwerkskörpern gefeiert. Heute war ich draußen und bewunderte den weißen Schnee, der nicht so oft in Deutschland fiel. Langsam steigen die Virus-Ansteckungs-Zahlen, weshalb auch somit sich die Lage zuspitzt, da mehr Sicherheitsverschärfungen eingeführt werden. Draußen sieht man nicht mehr spielende, in Gruppen versammelte Kinder, oh nein, sowas gibt es nicht mehr auf Erden: Man sieht ein leeres, graues Ödland. Manche Kinder lassen sich blicken, ihre Gesichter sind aber voll mit Masken überzogen. Treffen mit Freunden, das kann man ganz vergessen. In den Nachrichten wird über virtuellen Unterricht nachgedacht. Wie das sein wird? … ‘‘ 

Eintrag 8: Die Einsamkeit 

,, Krkr… Eintrag 8: Heute ist der 24. Februar 2020. Ich beschloss, dass ich nur die wichtigsten Einträge zusammenfasse und vorstelle. Seit mehreren Tagen verwendet meine Schule das virtuelle Klassenzimmer. Es ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, man sollte aber damit klarkommen. Die Virus-Ansteckungs-Zahlen steigen nicht mehr so rasch in Deutschland, dafür aber in anderen verschiedenen Länder. Langsam fühle ich mich wie in einer Apokalypse, was meine Lust an den Einträgen erhöht. Am schlimmsten finde ich aber die Einsamkeit: Man kann sich wegen den Verschärfungen der Sicherheitsregeln wenig treffen, und da die Schulen geschlossen sind, kann man sich auch nicht dort treffen und miteinander reden. Langsam wird es zu Hause langweilig … ‘‘ 

Eintrag 17: Die Feier 

,,Krrrrk… Eintrag 17: Heute ist der 27. März. Heute hat meine Familie mit meinen Verwandten die Silberhochzeit meiner Großeltern gefeiert. Das hat Spaß gemacht und dabei eine Abwechslung ins Leben gebracht. Meine Großeltern waren sehr traurig gewesen, da meine Familie und meine Cousins und Cousinen, Tante und Onkel mit einbeziehend, angeblich wegen dem Virus nicht kommen konnten: was sie aber nicht wussten war, dass für kurze Zeit eine Lockerung eingeführt wurde, die das Treffen von mehreren Personen erlaubte. Meine Großmutter hatte vor Freude geweint, als wir kamen. Wir selbst waren auch alle glücklich unsere Verwandten wiederzusehen. Wir hatten zum Spaß einen Brautschleier für meine Oma mitgenommen, den sie dann anzog… ‘‘  

 

Eintrag 24: Die Langeweile  

,, Krkrkrrk… Eintrag 24: Heute ist schon der 13. April 2020. Langsam sieht und fühlt man das wiedererwachen der Pflanzen. Ich selbst weiß nicht mehr, was ich sagen kann: diese Langeweile plagt mich zu Tode. Und diese andauernd gleiche Routine des Lebens! Aufstehen, essen, Hausaufgaben machen, wieder essen, ein Buch lesen, vielleicht fernsehen, und noch mal essen, und zum Schluss schlafen. Und ich glaube nicht, dass es nur so mir geht. Da ich jetzt nichts mehr zu sagen habe, breche ich diesen Eintrag ab … ‘‘   

Eintrag 30: Willkommen in der Hölle! 

,, Krrrkr… Eintrag 30: Heute ist der 21. Juli 2020. Um die letzten 3 Monate kurzzufassen: Verschärfungen, Langeweile, noch mehr Verschärfungen, und … hatte ich schon Verschärfungen? Ja ich weiß, mein Humor ist grottenschlecht, aber er wird und kann sich auch nicht verbessern, wenn ich  mit niemanden reden kann. Sollte ich mit mir selbst reden? Dann würde ich doch verrückt werden!? Mich wundert es noch, dass ich es nicht bin, obwohl ich in eine dumme Blechbüchse mit Mikrofon und Aufnahmegerät quatsche. Alles draußen in der Innenstadt ist bis auf weiteres wie Produktenmärkte geschlossen. Wie werde ich jetzt Klavier üben? Und wie werde ich ins Schwimmbad gehen können? Das sind unerklärliche Fragen, die mich noch einige Tage beschäftigen werden... ‘‘ 

Eintrag ???  

,, Krkrkrkkk... Ich habe irgendwie die Übersicht über die Einträge verloren, aber heute ist der 20. Oktober 2020. Ich verlor nicht nur das, sondern auch jegliches Zeitgefühl. Jeder Tag ist derselbe, jede Beschäftigung ist dieselbe. Es wird darüber gesprochen, dass es ein paar Lockerungen in den Sicherheitsregeln geben wird. Meine Familie und ich werden höchstwahrscheinlich nicht im Dezember Skifahren gehen. Ich kann nicht beschreiben, wie es mir geht: Es ist so, als ob man in einer Zeitschleife steckt, wo alles immer gleich ist, aber mit jedem Mal immer schlimmer und schlimmer… ‘‘  

Eintrag 1X 

,, Krkrk… Eintrag 1X: Heute ist der 5. Januar 2021. Wie schon gesagt, hatte ich die Übersicht über die Einträge verloren, weshalb ich neu mit 1X anfange. Feiern konnte ich dieses Jahr nicht, und erst jetzt erinnere ich mich, dass ich nichts von Ostern letztes Jahr mitgekriegt habe. Es wurden Lockerungen eingeführt, die direkt nach ein paar Wochen wieder Verschärft wurden, da die Ansteckungs-Zahlen stiegen. Zum Glück kann ich zum Klavierunterricht kommen. Schwimmen darf ich aber trotzdem noch nicht…‘‘ 

Eintrag 2X 

,, Krkk… Eintrag 2X: Heute ist der 14. Februar 2021. Ich minimierte meine Einträge aufs Minimum, da ich langsam durch das Aufnahmegerät verrückt wurde. Die Ansteckungs-Zahlen fielen, weshalb Lockerrungen herbeigerufen wurden, und ich somit endlich Schwimmen gehen konnte. Ich fühlte, wie meine Lebensenergie wieder aufgefüllt wurde. Durch meine Hobbys bekam ich langsam ein Taktgefühl meines Lebens. Die Politiker sprechen über eine Wiedereröffnung der Schulen. Ich bin schon gespannt… ‘‘ 

Eintrag 3X 

,, Krkrrk… Eintrag 3X: Heute ist der 28. März 2021. Es wurde bekannt gegeben, dass die Schulen nach den Osterferien wieder öffnen. Ich selbst bin wieder zu sich gekommen und fühle mich viel besser als vor einigen Monaten. Langsam steigen die Ansteckungs-Zahlen, aber es wurden Impfstoffe hergestellt, die Menschen vor dem Virus schützen sollen. Ich mache mir nichts draus, da ich selbst unter 18 Jahren bin und deswegen auch nicht geimpft werden kann. Dieses und letztes Jahr habe ich mir ganz anders vorgestellt. Langsam verändere ich meine Meinung vor zwei Jahren: Ich will in die Schule! Hoffentlich war das heute mein letzter Eintrag. Wir werden sehen … ‘‘ 

 

Postskriptum 

Dieser Text basiert auf echte Geschehnisse aus der realen Welt. Die Daten des Datums können von realen Geschehnissen abweichen und nicht übereinstimmen.    

 

Wenn ich zurück denke frage ich mich, wann es begonnen hat. Wann die Pandemie anfing, wann sie enden wird. Wie lange dauert sie schon? Ein Jahr? Länger? 

 

Ein normaler Schultag stand an, oder besser gesagt, der normale Schultag, so wie er vor der Pandemie aussah. Wir hatten eine Klassenleiterstunde, und hin und wieder wurde getuschelt. Uns wurde erzählt, dass ein Virus seinen Weg zu uns gefunden hatte. Zu reisen wurde nicht empfohlen, das Virus sollte sich nicht weiter ausbreiten können. An diesem Tag erfuhren wir, dass unsere Klassenfahrt höchstwahrscheinlich abgesagt werden musste. Wir waren sehr betrübt, da eine Klassenfahrt immer etwas Besonderes ist. Auch um unseren „Lese“-Tag war es geschehen. Wenn ich zurückdenke ist dies keine so große Sache mehr. 

Nach und nach wurden immer mehr Regeln eingeführt, von denen ich niemals gedacht hätte, sie erleben zu müssen. Plötzlich wurde die Schule geschlossen, alle Schüler blieben zu Hause und mussten auch ihre Aufgaben zu Hause erledigen. Diese Erfahrung brachte für mich nur einen guten Punkt mit sich. Plötzlich schätzte ich die Schule viel mehr. 

Draußen wurden nun Masken getragen, Läden wurden geschlossen, Sportvereine wurden dicht gemacht. Nur das Allernötigste blieb. Und selbst davon gab es nicht genug. Menschen bekamen Angst. Wo viele gegenwärtig über Hamsterkäufe von Nudeln und Klopapier lachen, fürchteten und fürchten sich andere. Alle nehmen die Situation in der wir uns befinden anders wahr. Für mich ist diese ein Verlust: Ich sehe weder Freunde, Lehrer, noch Verwandte. Es gibt keine Schulaufgaben mehr, es gibt nur noch Hausaufgaben. 

Für meine Schwester ist es nicht richtig verständlich. Sie wird dieses Jahr in die Schule kommen...oder eigentlich sollte dies der Fall sein, ob, wie und wann, weiß ich es auch nicht mehr... 

Da sie bald ein Schulkind seien wird, wurde ihr eine Art kleine Hausaufgabe gegeben, die sie freudig bearbeitet hatte. Hausaufgaben findet sie nämlich super! Die Aufgabe bestand aus einer Frage. „Wie geht es dir mit dem Corona-Virus? Male etwas dazu!“ Am Ende zeigte sie mir ihr Werk. Sie hatte einen Daumen, der nach oben zeigte und einen lächelnden Smiley gemalt. 

Für sie hat sich nicht viel verändert. Sie geht in den Kindergarten, da beide meiner Elternteile arbeiten gehen müssen. Nur die Masken sind neu und sie ist kein großer Fan vom gründlichen Händewaschen. 

Im Moment haben es viele schwer. Auf einer Seite im Internet hatte ich einen Artikel zum Schulunterricht gelesen, wie Eltern, Lehrer und Schüler nun zurecht kommen müssen. Unterhalb des Textes fand ich Unmengen von Kommentaren. Eltern, Lehrer, Schüler,… Alle beschwerten sich über den jeweils anderen. Teilweise wurden Kommentare ziemlich respektlos oder verletzend. Alles verläuft stressig, jeder ist überfordert und kein Ende ist in Sicht. Dabei sollten wir doch genau jetzt probieren uns möglichst zusammenzureißen. Die Lage ist schwer genug. Und selbst hier kenne ich nur meine Sicht der Dinge. Unglaublich viele Menschen sind gestorben. 

Es kommt mir unwirklich vor. Unwirklich. Unverständlich. 

Anders. 

 

 

Von den gläsernen Mauern der Existenz 

 

Wie Mauern aus Glas. Wie durch einen Schleier nehme ich die Welt um mich herum wahr. Ich bin nicht lebendig. Doch ich gehöre auch nicht zu den Toten. Mein Herz schlägt gegen meinen Brustkorb; in meinem Körper. In einer Hülle, die nach außen hin versucht, es allen und jedem recht zu machen. Einer leeren Hülle, die gelernt hat, selbst zu handeln.  

 

Blicke ich in den Spiegel, lächelt sie mich an. Höre ich einen Witz, lacht sie. Sehe ich etwas Unglaubliches, staunt sie. Schaltet jemand Musik ein, entspannt sie sich. Doch das bin nicht ich. All die Gefühle erreichen nicht mein Inneres. Sie schwimmen auf einer Oberfläche, die widerspiegelt, was andere in ihr sehen wollen. Einer Oberfläche, die über all die Jahre alles, was sie gesehen hat, aufgesogen hat, um es im richtigen Moment wieder freizulassen. Um sich ihrer Umgebung anzupassen. Und um all den Erwartungen gerecht zu werden, die wie Steine in ihr versinken und sich zu einem großen Klumpen ansammeln.  

Jener Klumpen scheint mein Handeln zu bestimmen; meine Persönlichkeit und mein Aussehen wandelbar wie die Haut eines Chamäleons zu machen.  

 

Wie eine Decke überzieht mich die Angst, nicht akzeptiert zu werden. Wie eine Decke, die jeden Versuch meines Inneren, es selbst zu sein, erstickt. Aber auch wie eine Löschdecke, die das brennende Feuer der Entmutigung verhindert, das, wenn es in einem erst entflammt ist, nicht aufhören will zu brennen. Mein Körper kommt mir vor wie ein Schutzmechanismus. Die Eisschicht, die mein Inneres und all die Emotionen umgibt, soll diese nicht völlig ausschalten, sondern lediglich schützen. Schützen vor der Verbitterung, dem Schmerz, den die Welt für alle, die sich nicht dagegen zu wehren wissen, bereithält. Dem Schmerz, der existiert, wie Freude und Glück existieren. Wie er immer existieren wird, da das eine nicht ohne das andere vorhanden sein kann. Wie die Nacht nicht ohne den Tag, wie Dunkelheit nicht ohne Licht da ist. Kennen wir das eine nicht, können wir das andere nicht missen. Doch haben wir erst beide Seiten kennengelernt, wird es immer eine geben, die wir bevorzugen. Nicht immer können wir wählen. Ist man erst zu weit auf die eine Seite vorgedrungen, kann es nur allzu schwer werden, wieder zurück zu finden. Die meisten von uns pendeln zwischen den Welten der Empfindungen hin und her. Mal sind sie auf der der Freude, mal auf der der Angst, mal auf der der Wut. Merken sie, warum sie dort sind oder warum sie nicht dort sein sollten, dauert es nicht lange, bis sie sie wieder verlassen. Dann sind Hoffnung und Erkenntnis wie ein Licht, das sie leitet. 

 

Doch ich habe aufgehört zu pendeln. Mein Inneres ist auf einer Welt des Kummers, der Einsamkeit, der Angst, des Schattens und des Gefangenseins geblieben. Zu lange verweilte ich dort. Die Hülle meiner selbst ist weitergezogen. Sie wechselt hin und her, zieht mit den anderen mit, tut, als wäre der Zweck ihres Daseins damit erfüllt. Als wäre sie zufrieden damit, immer zu einer neuen Welt zu hetzen. Immer so zu tun, als sei alles in Ordnung; als wüsste sie immer genau, was sie täte; als würde sie nie Fehler machen; als wäre alles perfekt. 

 

Ist es vielleicht das, was wir müssen? Müssen wir immer perfekt sein? Müssen wir immer alles richtig machen und muss immer alles in Ordnung sein? Müssen wir wachsen und blühen und das, obwohl wir doch wie eine Blume sind, der das Wasser entzogen wurde? Der Regen, der uns gedeihen lässt, bringt wie selbstverständlich all die Finsternis und Kälte mit sich. Stellt uns immer vor die Herausforderung, die am schwersten zu überwinden ist, uns aber am meisten wachsen lässt. Die Art von Regen, die in die Haut einzudringen scheint, um dort ihre unsichtbaren Spuren zu hinterlassen. Spuren, die in unserem tiefsten Innern immer ein Zentrum aus all den negativen Gefühlen bilden werden, die wir versuchen täglich auszublenden. Die sich gegenseitig nähren und anzuschwellen drohen, wie das Meer bei Flut. Bei einer Flut, die einzig und allein die Ebbe zu stoppen vermag. Die Ebbe, die all die dunklen Gedanken mit sich trägt und ins offene Meer hinausspült, wo sie schließlich schwer wie Blei zu Boden sinken und dortbleiben, bis man sie neu an Land fischt. 

 

Viel zu oft habe ich meine Angelrute ausgeworfen; habe sie wieder eingeholt. Habe Erinnerungen an längst vergangene Tage hervorgeholt, um nicht zu vergessen. Denn das Vergessen ist es nicht, was ich will. Ich will mich erinnern können, an all die düsteren Zeiten. Lediglich der Schmerz, den diese Erinnerungen mit sich bringen, soll sich nicht mehr wie unlösbare Algen in meinem Fang verheddern. Es mag sein, dass ich verloren habe. Verloren gegen meine innere Stimme, meine Dämonen. Doch ich habe gelernt. Damals wusste ich es noch nicht, doch nun weiß ich, dass alles nur darauf hinausläuft die eigenen Fehler zu erkennen. Um die eigene Schwäche und Verletzlichkeit zu wissen, die uns zwar angreifbar, aber lebendig macht. Ich weiß, dass es darum geht, vom Boden aufzustehen, auch wenn eine unsichtbare Last dich zu Boden zu drücken scheint.  

 

Manchmal ist es sinnvoll, alte Mauern einzureißen, um neue zu bauen; alte Bücher zu schließen, um neue zu beginnen. All die Zeit war ich gefangen. Zwar konnte ich mich bewegen und gehen, wohin ich wollte, doch es war, als wäre ich umgeben von einer Mauer. Einer gläsernen Mauer, durch die ich sehen, aber nicht fühlen konnte. Die alles von mir abtrennte, was ich brauchte. Nicht die überlebensnotwendigen Dinge, nicht die materiellen. Die lebensnotwendigen, die man nicht sehen kann, von denen man aber weiß, dass sie dort sind. Die, die einem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern, einen aufgeregten Schluckauf verursachen, die Finger gespannt kribbeln lassen. Die, die die Zeit stillstehen lassen, sodass der Augenblick, und sei er noch so kurz, nie zu enden scheint. Die, die keinen Weg durch das Glas finden können. 

 

Reiße ich die Mauer ein, kostet dies keine Kraft.  

Es kostet unendliche Überwindung und den Schmerz, den die dahinter lauernde Leere verursacht. Das Wissen, dass dort nichts ist, was auf einen wartet. Nichts bleibt. Hinter jeder Ecke, in jedem Winkel wartet nichts als die unendliche Leere. 

Es ist ein Neuanfang. Man verabschiedet das Alte, um dem Neuen Platz zu machen, löst sich von alten Erinnerungen, um neue Erlebnisse zu solchen zu machen. Alte Wunden werden endgültig verschlossen und werden zu Narben, die nur noch zeigen, wie viel Schmerz man einst erlitten hat. Wie viel man ertragen hat, um zu dem zu werden, was man heute ist.  

 

Ein Mensch, der mit sich selbst im Reinen ist, wird nicht so geboren. Er entscheidet selbst, ob und wann es an der Zeit ist, etwas zu ändern. Manchmal geschehen jene Veränderungen unbewusst, manchmal ist es ein Kampf. Man lässt niemanden etwas spüren von dem Sturm, der in einem tobt. Will nicht als schwach oder ängstlich gelten. Will nicht bemitleidet werden. Es soll bloß jemand da sein, der versteht. Der hinter einem steht und auch bleibt, wenn die Sonne mal hinter Wolken verschwindet; wenn es mal regnet und der Schirm nicht aufgeht. Der dich einfach nur wissen lässt, dass er da ist. Dass du nicht allein bist, auch wenn du deine Mauer schließlich einreißt. Du baust etwas Neues und er steht neben dir, um dir über die Schulter zu schauen und dich zu motivieren; nicht aufzugeben. Weiterzumachen, auch wenn Steine in der Erde schlummern, in die du gräbst. 

 

Auch heute noch bin ich dankbar für diese Zeit, in der mir im Stillen Hoffnung gegeben wurde; in der ich erkannt habe. Sie war das Licht, das mein von ihrer leeren Hülle verlassenes Inneres befreite. Befreite von der Welt, auf der es zurückgelassen wurde, weil seine Last zu groß war. Weil es leichter war, ohne es weiter zu machen; ohne das Gewicht, die Last meines Inneren, das die eine Hälfte der Waage nach unten drückte. Doch fehlte die eine Seite der Waage, gab es gleichzeitig keine Waage mehr, also nichts, was im Gleichgewicht sein könnte. Es herrschte ein stetes Ungleichgewicht, das nichts auszugleichen vermochte.  

 

Nicht umsonst gibt es in Märchen immer Gut und Böse. Nur so kommt es zu einem glücklichen Ende. Der Drache wird von einem Helden besiegt und die Prinzessin wird gerettet. Im wahren Leben ist alles dieselbe Person. Der Drache schlummert tief in einem, bis er alles zu verschlingen und ins Chaos zu stürzen droht. Die Prinzessin steht für das Fünkchen Hoffnung, das noch in uns steckt, das aber vom Drachen gefangen gehalten und tyrannisiert wird. Der Held kommt und befreit die Hoffnung. Natürlich wird hier niemand getötet, wie in all den Geschichten, doch man schließt Frieden mit den inneren Dämonen. Man braucht einen Helden, der alles wieder in Ordnung bringt. Und nachdem man vom König geschubst wurde, dem Jemand, der einem den Glauben an sich selbst verleiht, wird man selbst zu diesem Helden. Man zieht aus und befreit sich aus den Klauen der eigenen Person. Zurück kommt man verändert, doch ist man auch weiser geworden. 

 

Ich weiß nun, dass ich selbst bestimme, was andere von und in mir sehen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich ich selbst sein kann. Ich muss nicht allen gefallen, muss es nicht allen recht machen, wird es doch immer Personen geben, die mich nicht so akzeptieren, wie ich bin. Es ist mir möglich, meine Emotionen und Gefühle zu kontrollieren, doch eingesperrt habe ich sie nie wieder. Sie sind ein Teil von mir; sie machen mich aus. Ich habe aufgehört mich aus mir selbst auszusperren. Seither hat sich mein Leben um hundertachtzig Grad gedreht. Ich genieße jeden einzelnen Tag, als könne es mein Letzter sein. Ich finde wieder mehr Zeit für die Personen und Dinge, die ich liebe; mehr Zeit für meine Hobbies. Ich atme freier. Doch ich denke nicht weniger. Ich weiß nun jedoch, wie ich meine Gedanken sanft lenken kann, wie sie nicht mehr völlig frei und durcheinander durch meinen Kopf schwirren. Ich habe keine Angst mehr vor ihnen. Sie sind meine treuen Begleiter geworden, die Zusammenhänge erkennen und mein Leben kommentieren. Ich habe gelernt, nicht mehr in mein dunkles Loch zu fallen. Keinen Teil von mir auf einer der dunklen hoffnungslosen Welten zurückzulassen. Keine Mauern mehr um mich zu bauen.  

 

Wie Mauern aus Glas. Der Schleier ist von meinen Augen gefallen. Nach langer Zeit bin ich wieder durch und durch lebendig. Die Mauer sperrt mich nicht mehr ein. Sie trennt mich lediglich von der Dunkelheit. Ich kann die Schatten sehen und ihnen friedlich zuwinken. Durch meine gläserne Mauer. 

Alles anders 

Plötzlich war alles anders. 

Als du langsam immer mehr und mehr vergessen hast.  

Da wurde aus „du bist meine Enkelin“, „sind Sie meine Ärztin?“. 

Du warst die Oma, die jedes nur erdenkbare Gedicht auswendig konnte, die Oma die uns Kindern die russische Literatur beibrachte, schließlich warst du Lehrerin und wolltest dein Wissen unbedingt weitergeben. 

Doch dann kam der Sommer 2019. Hätte ich nur gewusst, dass es unser letztes Treffen ist, hätte ich wohl einiges anders gemacht... 

Wir sprachen miteinander und es war alles anders, du hast mich kaum erkannt, aufgrund deiner Demenz.  

Diese gottverdammte Demenz. 

Die Krankheit schritt fort und damit auch du. 

 

Doch einem bliebst du für immer treu, bis zu deinem letzten Tag; deinen Händen. 

Diese Hände die mich in meine Wange gekniffen haben, wenn wir uns sahen. Diese Hände, die meine gehalten haben - Sie strahlen solch eine Wärme aus. 

Es ist die Wärme, welche ich bis heute in meinem Herzen trage.  

 

Wie gerne ich dir meine Erfolge in Russisch zeigen will. 

Ich weiß ganz genau, wie sehr du dich freuen würdest, denn du hast das erreicht was du so sehr wolltest: 

Ich habe meine Muttersprache beibehalten.  

Du hast mir so sehr in meinem Leben weiter geholfen und mich so vielen Dingen gelehrt. Deswegen will ich einfach nur zum Telefon greifen und dir alles Neue aus meinem Leben erzählen. Ich will dich wieder lachen und strahlen sehen. 

 

Doch seit dem 26.10.2020 ist alles anders. 

Du bist nicht mehr da, doch deine Hände sind noch immer in meinen Erinnerungen - DU bist in meinen Erinnerungen und dein Lächeln ist auf alle Ewigkeit in meinem Kopf eingebrannt. 

Es ist zwar nun alles anders, aber du bleibst gleich.  

Du bist und bleibst die gute Laune Oma. Du bist und bleibst die Oma, die jeden mit offenen Armen empfängt und jeden willkommen heißt. 

Klar ist jetzt alles anders, aber meine Liebe zu dir bleibt für immer gleich. 

etwas, das sich wie aus einem anderen leben anfühlt  

 

wenn ich nach hause komme, ist die luft in meinem zimmer dünner. vor allem dann, wenn die musik mich nicht mehr so berührt, wie sie es gestern getan hat und meinen kopf gedanken füllen, die ich noch nicht ganz begreifen kann, weil ich es mir noch leisten kann, nicht nach ihnen zu greifen.  

das haar, das sonnenstrahlen einzufangen schien ist kürzer. die locken haben sich aus dem strengen zopf gelöst und ihr gesicht umrahmt jetzt ein pony, das immer da zu sein schien. ich weiß gar nicht mehr, wie sie ohne aussah.  

seine blicke sind abweisender, wenn er geht, dreht er sich noch immer nicht um und die distanz zu manchen menschen wird von erinnerungen gefüllt, die nicht schön genug sind, um sie zu  überbrücken, aber ich, wenn ich zurückblicke trotzdem noch in ein warmes licht tauche.  

meine nostalgie ist von einer tragischeren schönheit und dort wo sie ein lächeln in mein gesicht gezaubert hat, füllt sie meine augen nun mit tränen. 

meine ängste sind andere, von denen meine wünsche manchmal gar nicht zu unterscheiden sind, und wenn ich nach der schule nach hause komme, atme ich erleichtert aus, aber ich merke, dass die luft in meinem zimmer dünner ist. vorallem wenn mich die musik nicht mehr so berührt, wie sie es gestern getan hat, ich nicht nach den gedanken greifen will, die versuchen meine zukunft zu illustrieren und mich, mit einem klos im hals, an das erinnere, was mal war.  

alles ist anders und hebt sich von dem was mal war ab. langsam, schleichend. so dass ich es zuerst nicht bemerke, bis ich plötzlich die augen aufschlage und mich im vorgestern nicht wiedererkenne, weil mich ihre musik nicht mehr berührt und die gefühle und gesichter, die meine welt füllen, nun andere sind. 

Ich bin Draußen, in einem Park, lache mit den Menschen, die mir wichtig sind. Ich fühle mich unbeschwert, fast schon unantastbar. Ich verfolge Ziele und habe Wünsche. Ich fühle alles, was um mich herum geschieht. Ich bin lebendig, aber plötzlich ist alles anders, alles ist Weg. Ich bin in einer neuen Welt, einer Welt die verkehrt ist und mir angst macht. 

Ich starre nachts aus dem Fenster, und stelle mir immer vor wie die Zeit an mir vorbeizieht. In einem Moment erblicke ich die Sonne, wie sie den Tieren kraft und der Natur Farbe schenkt, alles lebt bis es auf einmal alles verblast. Ich blinzle, was ist passiert. Ich liege in meinem Bett. Meine Füße frieren.  Als ich sie sanft aneinander reibe, schwimmt eine vage Erinnerung an die Oberfläche meines Bewusstseins. Ich lächle ohne ein Gefühl zu verspüren, ohne zu wissen wieso. 

Ich versuche mich an meine Vergangenheit erinnern. Wie war es damals? Als ob es schon Ewigkeiten her sei. Etwas hat sich um meine Seele gelegt, ihr alle Farben entzogen und meinen Gefühlen die Lautstärke abgedreht. Ich weiß nicht mehr was es bedeutet zu leben. Ich versuche mich über kleine Dinge zu freuen, wie einen warmen Kakao zu trinken, aber die Stimmen in meinem Kopf flüstern mir zu, dass alles sinnlos sei. Ich bin wie betäubt und erlebe alles aus der dritten Perspektive, es ist komisch mir selbst zu zuschauen, aber jeder einzelne Moment verblasst. 

 Manchmal ist es in mir so still, einfach nichts mehr. Nicht mal Leere. Ich kann mich selbst nicht spüren. Wie eine leere Hülle, eines Schmetterlings, der sich aus seinem Kokon befreit, in die Freiheit fliegt, und ihn in der Dunkelheit zurücklässt. Die Zeit zieht an mir vorbei, als fiel ich aus ihr heraus. Ich glaube nicht mal, dass sie mich vermisst. Ich existiere, ohne einen Wunsch außer mich selbst verschwinden zulassen.  Alles ist taub. Gefangen.  

Eines Abends ging ich ins Bad, wie immer war es dunkel, etwas funkelte. Eine klinge, ich starrte sie einfach an, während das Wasser weiter meinen Nacken herunterfloss. Ich sollte aufstehen, das Licht anmachen mich abtrocknen und schlafen, ich schaffe es nicht. Ich nahm die klinge in die Hand. Ich weiß nicht wer ich bin und will nicht so sein. Ich zog die schöne, scharfe Klinge über meine nasse Haut. Das Gefühl, unbeschreiblich. Es versetzt mich zurück in die Realität, als sei ich die ganze Zeit Unterwasser gefangen gewesen. Ich kann wieder aufatmen. Ich fühle mich befreit.  Es blutet und ich Lebe. Die Stimmen in meinem Kopf verlangen nun jeden Tag nach Schmerz. Ich will leben, aber der Schmerz ist eine Sucht, ein unersättliches Verlangen. 

 Ich schließe meine Augen, warte darauf, dass der schöne Schlaf mich erlöst, aber meine Gedanken, sie hören nicht auf, sie sind einfach zu laut. Zu laut für meinen Kopf. Es ist wie ein Universum, was jeden Moment droht zu implodieren. Ich will wieder weinen können und glücklich sein, dass die Welt ein Sinn ergibt. Der Schmerz gibt mir, nur für einen kleinen Augenblick, das Gefühl wieder lebendig zu sein.  Doch die Welt tut das nicht. Sie ergibt keinen Sinn. Auf jeden Tag folgt ein noch elendiger. Wir Menschen sind alle der Schlinge des Universums, der Gesellschaft ausgesetzt, trotzdem verstehe ich nichts. Mein Kopf ist zu voll, zu voll um zu denken, um zu verstehen. Warum habe ich ein Bewusstsein, wenn ich eh nur in ihm gefangen bin? 

Ich werde gefragt wie die Schule war. Ich überlege, erinnere mich kaum. Stumm fließt jeder Tag an mir vorbei, ein endloser Wirbel, ein schwarzer Schatten, der mich verfolgt. Immer sind es dieselben Gespräche, dieselben bösen Gedanken. Wann ist es endlich vorbei?  Ich fühle mich aufbrausend und im nächsten Moment leise, unberechenbar eben. Meine Gedankengänge, das reinste Chaos, komplett durcheinander. Keiner schenkt mir Aufmerksamkeit, ich bin alleine. Ich werde nur dumm angestarrt und es ist nicht mal frustrierend. Es ist alles gleichgültig. Egal was ich für die Menschen tue, keiner weiß es Wert zu schätzen. Ich bin ein nichts, ein niemand. Werde ich jemals akzeptiert? Kann ich mich jemals wieder besser fühlen? 

 Ich sehe wie sich ein man morgens auf dem Weg zur Schule aus einem Hochhaus stürzt. Ich schaue mir seinen leblosen, entstellten Körper an. Ich spüre nichts, wie ein krankhaft gestörter starre ich ihn an, dringe in seine Seele ein. Er schrie nicht, als er sprang. War er glücklich, als er starb?  Ist der Tod die Erlösung, um ewig frei zu sein? Ist es das, wonach ich mich sehne? 

Ich rede nur noch mit mir selbst, jedes Lachen ist gestellt, es soll nicht auffallen. Ich funktioniere, das  einzige was zählt. Alles nur gespielt, alles nur falsch. 7 Milliarden Leben wandeln auf Erden, also wie besonders kann meins schon werden?  Keiner hat mich gefragt, ob ich geboren werden will, weder Ziele noch Wünsche. Warum? Ich denke nach, streiche über meine rauen Finger. Sind sie noch da, wo ich bin? Depression ist wie eine unheilbringende Wolke, die einen verschling, die einem alles raubt. Sie verfolgt einen, bis man verschwindet. Sie trübt meinen Tag, lässt ihn in Dunkelheit hüllen. Depression kann durch Schmerz für einen kurzen Moment verdrängt werden, doch sie ist leider zuverlässig und kehrt immer wieder zurück. 

Bevor ich meinen Schlüssel aus der Jackentasche krame, hole ich tief Luft, um mich mental auf meine Mutter vorzubereiten.
Lächeln, Martina, lächeln. Der Spaziergang hat super Spaß gemacht und du freust dich auf das Abendessen.
Ich komme rein und meine Mutter motzt mich wie erwartet aus der Küche an. Auf ihr genervtes „Wo warst du denn“ hin antworte ich wie geübt. Dass der Spaziergang nur eine Ausrede ist, um eine Stunde am Tag mal von hier wegzukommen, muss sie ja nicht wissen.
Und tatsächlich geht es mir besser, sogar so gut, dass ich die Motivation dazu spüre, mal wieder Sport zu machen. In den letzten Wochen hatte ich das immer mit der Begründung verdrängt, dass ich innerhalb der nächsten Monate sowieso nicht ins Training gehen kann – aber nicht heute. Heute bin ich motiviert.
Ich mache also laute Musik in meinem Zimmer an, während ich versuche, einer YouTuberin bei ihrem Workout zu folgen. Gerade als ich verwundert darüber bin, dass ich noch zehn Liegestütze schaffe –
„Bang!“
Erschrocken drehe ich mich um, und beobachte, wie sich mein Dachfenster in immer kleiner werdende Bruchteile zersplittert.
Was zur Hölle???
Meine Laune wandelt sich innerhalb der nächsten Sekunden ruckartig von erschrocken zu genervt. Warum muss mir jetzt so eine scheiße passieren? Mein Fenster geht einfach so, ohne Grund, kaputt. So unnötig.
Und während nun die kalte Luft in mein Zimmer strömt, werde ich nachdenklich. Etwas wird mir aus dem nichts weggenommen, klingt nach etwas, was ich im letzten Jahr erlebt habe. Mein Leben lief PERFEKT, bis die Corona Pandemie angefangen hat: Sie hat mir so ziemlich ein ganzes Jahr meiner Jugend weggenommen, und zu Ende ist sie definitiv noch nicht.
Abends am Esstisch heißt es von meinem Vater, er habe einen Handwerker kontaktiert, und er würde irgendwann mal kommen, um ein neues Glas zu installieren. Genauso wie jeder mir Hoffnungen machen will, dass Corona ja irgendwann mal vorbei sein wird. Bringt mir aber nicht viel, wenn ich nicht weiß wann das ist.
Aus meinen Gedanken reißt mich mein Klingelton: Es ist nicht der spezielle Ton für meine Freunde, also muss mich jemand random angerufen ha ben. Ich gehe an mein Handy und lese: Kilian Korlevic.
Der größte F*ck Boy den ich kenne. Was will der denn?
„Hey babe“, spricht seine schöne Stimme, die ich doch so sehr hasse, aus meinem Handy. „Meine Eltern sind das Wochenende weg, also gibts ne kleine Party bei mir. Komm gerne vorbei, freue mich schon auf dich!“
Bevor ich mich beschweren kann, dass wir gerade einen bundesweiten LOCKDOWN haben, legt er auf. Mal wieder typisch Kilian. Hauptsache ER hat Spaß. Außerdem habe ich nicht mal zugesagt, wie kann er denn davon ausgehen, dass ich kommen werde?
Ich könnte ihn einfach ignorieren – er hat doch so viele Mädchen, dass es ihm sowieso nicht auffallen würde, wenn ich nicht komme. Aber wenn ich wieder an mein kaputtes Fenster denke – Ich will hier weg.
Also erzähle ich meinen Eltern schnell, ich würde heute bei Natalie übernachten, und rufe sie auf dem Weg zu ihr an. Ich vertraue einfach mal darauf, dass sie was passendes zum anziehen hat – wobei ich auch keine Ahnung habe, was man bei so einer Party denn anzieht.
Natalie enttäuscht mich nicht: 15 Minuten in ihrem Zimmer verbracht und schon finde ich mich in einem lavenderfarbenem, hautengem, und vor allem KURZEM Kleid wieder. Also wenn mir heute Abend etwas aus der Hand fallen sollte, werde ich es wohl nicht aufheben.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht auf diese Party freue. Seit zwei Monaten habe ich keinen meiner Freunde mehr getroffen, also wird es ganz cool, mal wieder eine real life Konversation zu führen, wo ich nicht nur auf bunte Pixel auf einem Bildschirm starre. Während ich mir noch ausmale, wer denn alles kommen wird und was wir machen werden, gibt mir der erste Blick in Kilians Wohnzimmer schon die Antwort darauf:
Wir werden trinken. VIEL trinken. Ich sehe so viele Flaschen Alkohol, wie ich noch nie in meinem Leben auf einem Fleck gesehen habe. Rosafarbene, hübsche, einladende Sektflaschen, und dunkelgrüne, nach Desinfektionsmittel stinkende Liqörflaschen. Auf dem zweiten Blick entdecke ich noch mehr Sachen, von denen ich mich bisher eher fernhielt. Ich sehe Emily, eine Freundin, die ich vom Training kenne, mit kleinen, weißen Pillen in der Hand auf der Couch sitzen. Sie sehen aus wie die Schmerztabletten, die ich nehme, wenn ich meine Tage habe. Aber dieses ganze Setting sagt mir, dass das leider keine Schmerztabletten sind. Neben ihr sitzt David, mit einem braunen Metallgestell zwischen den beiden. Gerade als ich so faziniert von dem bunten Rauch bin, der aus seinem Mund strömt –
„Martinaaa!“, schreit Kilian mich an und gibt mir eine viel zu feste Umarmung.
Gott, wann hat mich das letzte mal jemand umarmt?
Ich überfliege kurz den ganzen Raum, und zähle etwa zwanzig Leute, alle etwa in meinem Alter.
Für sowas halte ich mich an den Lockdown? Dafür verzichte ich auf mein soziales Leben? Damit andere solche Partys feiern können?
In mir kommt das Verlangen hoch, mich einfach umzudrehen und wieder zu gehen. Ich habe mich immer beschwert und bin genervt gewesen, wenn ich mitbekommen habe, dass andere sich nicht an die Lockdown Regeln halten. Vielleicht war es Eifersucht – denn sie schienen Spaß zu haben, während ich allein zuhause saß. Jedenfalls wäre es jetzt aber die größte Doppelmoral, wenn ich hier bleiben würde. Ich würde genau das machen, worüber ich mich bei anderen Leuten in den letzten drei Monaten beschwert habe.
„Du bist ja die Letzte, die ich hier erwartet hätte“, erklingt Timos Stimme hinter mir.
Timo ist hier??? Der verantwortungsvollste und motivierteste Typ, den ich kenne?
„Das kann ich nur zurückgeben“, entgegne ich also. „Von dir hätte ich erwartet, dass du drei neue Hobbys angefangen, ne neue Sprache gelernt und nebenbei noch n eigenes Buch verfasst hast.“
„Hey, zu meiner Verteidigung“, lächelt er verlegen, „Im ersten Lockdown hab ich tatsächlich kochen gelernt und mit nem Online Französisch-Kurs angefangen.“
„So kenn ich dich doch“, entgegne ich, doch mein verwirrter Blick schreit wohl nach einer Erklärung dafür, wie er denn nun hier gelandet ist.
„Das hat ja alles am Anfang Spaß gemacht. Aber irgendwann mal hab ich die ganze Motivation dafür, motiviert zu sein, einfach verloren. Ich hatte keinen Bock mehr drauf, motiviert zu sein, verstehst du was ich meine?“
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und signalisiere ihm damit, dass er wohl mit seiner Erklärung fortfahren muss.
„War ja klar, dass Miss Das -Leben-Ist-So-Toll-Und-Ich-Bin-So-Glücklich das nicht verstehen würde“, verdreht Timo seine Augen. „Aber du kannst mir doch nicht sagen, dass du das ganze letzte Jahr nicht einmal dran gezweifelt hast, was der Sinn des Ganzen ist, was du noch machst? Zum Beispiel, was hast du denn so während Quarantäne gemacht?“
„Ich habe mir mal Gedanken über meine Zukunft gemacht“, sage ich nach kurzem Überlegen. „Mussten vor kurzem unsere LKs wählen, und da hab ich mich auch mal in verschiedene Studiengänge und sowas reingelesen.“
Aus seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er sich gerade sehr stark bemüht, nicht laut loszulachen. „Über deine Zukunft nachgedacht, das ist ja süß“, sagt er schließlich. „Und? Zu welchem Schluss bist du gekommen? Dass es eine Depression in der Wirtschaft für die nächsten fünf Jahre geben wird, dass Studieren momentan sowieso scheiße ist, weil alles online stattfindet, oder dass dein Plan, ein Gap Year zu machen wegen dem Reiseverbot auch nicht mehr funktionieren wird?“
„Ich –“
„Oh warte, ich erinnere mich. Du hast doch immer davon geträumt, Pilotin zu werden. Hab ich schon erwähnt, dass so ungefähr ALLE Piloten jetzt arbeitslos sind? Dass nirgends mehr Ausbildungsplätze angeboten werden? Dass die ganze Branche so ziemlich am Arsch ist?“
Während ich versuche, meine plötzlich hochgekommene Panik vor Timo zu verstecken, fliegen mir tausend Gedanken durch den Kopf.
Denk an was positives, Martina. Timo mag gerade ziemlich hoffnungslos sein, aber DU kannst ihn doch bestimmt vom Gegenteil überzeugen. Los!!!
„Hey, man muss das ja alles nicht soo negativ sehen“, starte ich einen zögerlichen Versuch. „Du musst ja nicht direkt von IMMER sprechen. Corona wird doch bestimmt irgendwann mal –“
Ich höre auf zu reden. Ich HASSE eigentlich diese Wörter. Hasse, hasse, HASSE sie.
Vielleicht hat Timo recht. Es bringt nichts, diese Situation irgendwie schön zu reden. Was soll ich schon für meine Zukunft planen, wenn die Zukunft gefühlt nicht mehr existiert?
Der Raum vor mir verschwimmt ein wenig.
„Okay, das war vielleicht alles ein bisschen zu viel. Aber wie wärs denn, wenn wir heute Abend einfach mal alles vergessen? Ich bring dich später auch nach Hause. Dann können wir da liegen, und uns die Sterne anschauen – ich bin immer noch neidisch auf deine Dachfenster. Drink?“
Sterne. Fenster. Nein. Bitte nicht das noch.
Ich gebe meinen letzten Widerstand auf. Zitternd nehme ich das Getränk an, was Timo mir in die Hand drückt. Was auch immer das sein mag – ich trinke das Glas in einem Zug aus.
Einfach. Alles. Vergessen.

Jeden Tag
Wenn fast 2 Milliarden Menschen aufstehen
Duschen und sich die Zähne putzen
Und aus dem Haus gehen
Fahren fast 2 Milliarden Menschen zur Arbeit
Mit Auto, Bus oder Bahn
Vielleicht fliegen manche auch in den Urlaub

Währenddessen
Kochen fast 2 Milliarden Menschen in der Küche
Zum Beispiel Krautsalat, Pommes oder Schnitzel
Und in Schweden vielleicht Fische
Und die restlichen fast 2 Milliarden Menschen
Die schlafen im warmen Haus
Behütet in unserer protzigen Welt

Jeden Tag
Nutzen wir
Wasser
Benzin
Und Gase
Plastik
Aus Erdöl
Metalle
Holz
Und Kohle

Jeden Tag
Essen wir
Gemüse
Und Obst
Meeresfrüchte
Und Fisch
Fleisch
Milch
Eier
Von Tieren

Jeden Tag
Beanspruchen wir
Licht
Strom
Und Wärme

Doch wer gab uns das Recht dazu?
Denn während wir
Immer mehr
Und mehr
Davon verbrauchen

Werden jeden Tag
82 Tausend Hektar
Wald abgeholzt
93 Millionen Liter
Erdöl gefördert
89 Milliarden Tonnen
CO2 ausgestoßen
123 Millionen
Tiere geschlachtet

Und weitere 300 Tausend
Meerestiere und Seevögel sterben
An den über 150 Millionen Tonnen
Plastik in den Meeren

Und jeden Tag
Werden weitere 575 Millionen
Plastiktüten produziert
Und es landen weitere 35 Tausend Tonnen
Plastik in unseren Meeren

Warum machen wir weiter damit?
Wir sehen doch
Wie der Regenwald jeden Tag an Fläche verliert
Wie das Eis am Nordpol jeden Tag schmilzt
Wie das Ozonloch jeden Tag größer wird
Und wie Tierarten aussterben
Wir wachen jeden Morgen auf
Wir fahren jeden Tag zur Arbeit
Wir essen und wir schlafen
Wir machen jeden Tag das Gleiche
Und machen uns das Leben
So bequem wie möglich

Also appellieren wir an alle 7 Milliarden Menschen da draußen
Wenn ihr
morgen früh
Aufwacht
Dann
Macht
Etwas
Anders

Denn die Welt verdient es
Mit Vorsicht behandelt zu werden
Denn ohne sie gäbe es
Alle 7 Milliarden Menschen nicht

Denn die Welt ist
Fantastisch
Und ihre Ressourcen
Das Fantastischste
Was es gibt
Denn das ist alles
Was es gibt
.

©2019 SchreibKunst-Blog/ Lea Wallrabenstein (9d) & Sophie Schönrock (9d)

,,Da vorne ist noch etwas frei!”

Es war Valentinstag und nach dem Besuch im Kino beschlossen wir, den Tag mit Kaffee und Kuchen abzurunden. Emma nickte mir zu und Hand in Hand begaben wir uns zu einem freien Platz. Er befand sich relativ weit hinten, sodass man von dort aus einen guten Überblick auf das Cafe hatte. Zumindest, wenn man wie Emma an der Wand saß und nicht wie ich von ihrer liebreizenden Freundin dazu überredet worden war, der Aussicht den Rücken kehren zu müssen. ,,Eines Tages gebe ich nicht nach...”, murmelte ich. Sie drückte mir erneut einen Kuss auf die Wange. ,,Denke ich nicht.”

Ein verspieltes Zwinkern sorgte dafür, dass Pudding meine Knie ersetzte und plötzlich war ich froh, mich schon hingesetzt zu haben. Emma und ich waren schon lange gute Freundinnen gewesen, schon seit ich denken kann. Wir gingen zusammen in den Kindergarten, wurden derselben Grundschulklasse zugeteilt und belegten nun in der Oberstufe fast überall die selben Kurse. Vor zwei Jahren jedoch gestand Emma mir, dass sie mich als mehr als nur eine gute Freundin sah, dass sie sich in mich verliebt hätte. Ich empfand das gleiche für sie und so kam es, dass wir beide ein Paar wurden.

Das Mädchen meiner Träume blätterte nun also nachdenklich in der Kuchen-Karte und einmal mehr fiel mir auf wie hoffnungslos ich mich in sie verliebt hatte. Die Art, wie sie sich ihr blondes Haar hinter das Ohr klemmte, ihre Finger elegant mit einer der Seitenkanten der Karte spielten, während ihre Augen ein Angebot nach dem anderen überflogen, lösten Herzsprünge bei mir aus.

,,Amelie? Bist du noch da?” Ihre süße Stimme holte mich aus meiner Trance und ich schreckte leicht hoch. ,,Alles okay bei dir? Du wirkst abgelenkt.” Ich kratzte mich am Hinterkopf. ,,Ne, alles gut. Weißt du schon, was du willst?” Ungläubig zog sie eine Augenbraue hoch. Was auch immer sie dachte, sie entschied sich es nicht auszusprechen.

Dem Rot ihrer Wangen zu urteilen, hatte sie mein Starren jedoch bemerkt. ,,Das hier fand ich gut’’. Sie drehte die Karte zu mir um, sodass ich lesen konnte, was darauf stand. Es war ein kleiner Schokokuchen mit flüssigem Kern. Ein Valentinstag-Special nur für Paare. Ich nickte. ,,Zu schokoladigem sag’ ich nicht nein.” Sie murmelte etwas davon, wie gut sie mich ja kenne. Was sie genau sagte konnte ich aber nicht verstehen. Mir war generell aufgefallen, dass sie seit dem Film sehr ruhig geworden war, wo sie doch sonst immer so gesprächig veranlagt ist. Ihr nachdenklicher Blick war auf irgendeinen Punkt auf dem Tisch fixiert und in ihren Augen lag etwas, dass mir Sorge bereitete. Benennen konnte ich es aber nicht genau.

,,Hey, schau nicht so betrübt. Sag deiner Freundin was los ist.” Ich piekste sie leicht in die Wange, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und sie gab mir ein leises Seufzen als Antwort. ,,Es ist der Film…” ,,Hat er dir nicht gefallen? Ich fand ihn nicht schlecht, auch wenn das Outfit des
Hauptcharakters viel zu eng war.” Sie schnaubte belustigt und legte ihre Hand auf meine. ,,Auch wenn du recht hast, das meinte ich nicht.” Sie lehnte sich nach vorne. ,,Hat es dich nicht gestört, dass der eine so früh gestorben ist? Du weißt schon, der mit der Brille.”

Angestrengt dachte ich nach.
,,Meinst du den, der sich als schwul geoutet hat?” Ich überlegte. ,,Naja, er hatte jetzt keine großartige Rolle im Film, da hat mich sein Tod eher mäßig mitgenommen.” ,,Aber genau das meine ich! Der Film hat so viel Werbung gemacht, dass sie ja so fortschrittlich seien und sogar einen schwulen Charakter eingebaut hätten.” Sie schüttelte den Kopf. ,,Stattdessen hatten wir ein laufendes Klischee, dass für die Geschichte völlig unnötig war und nach gefühlten zehn Minuten gestorben ist.” Ihre Stimme triefte vor bitterem Sarkasmus und ihr Ärger stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Es tat weh sie so zu sehen, doch ich schwieg und ließ sie weiter sprechen.

,,Ist es zu viel verlangt die Sexualität von jemandem, der nicht Hetero ist, einfach mal nicht an die große Glocke zu hängen? Uns so zu behandeln, wie man es mit jedem Heteropaar macht? Wir sind doch auch nur gewöhnliche Menschen…” Ich drückte ihre Hand, vermied aber den Blickkontakt. Ich wusste einfach nicht, was ich dazu sagen sollte.

Zum Glück kam endlich ein Kellner an den Tisch, sodass wir unser Gespräch kurzzeitig pausieren mussten. ,,Was kann ich euch bringen?” Er sah gelangweilt aus, als würde er verzweifelt die Minuten bis zum Feierabend zählen. Emma ließ meine Hand los und bestellte sich einen Kaffee, während ich mich für eine heiße Schokolade entschied. Der Kellner schrieb sich alles mit einer solch monotonen Gestik auf, dass ich bei seinem Anblick selbst das Verlangen hatte zu gähnen. Als wir aber das Valentinstag-Special erwähnten, schüttelte er den Kopf. ,,Tut mir leid, aber das ist nur für Pärchen.”

Emma setzte sich etwas gerader hin. ,,Genau. Deshalb haben wir das auch bestellt.” Man konnte förmlich sehen, wie sich die Zahnräder in seinem Kopf drehten und es dauerte auch nicht lange bis er es endlich verstanden hatte. Er zog die Augenbrauen nach oben und seine Mundwinkel bewegten sich in dieselbe Richtung. ,,Aber natürlich meine Hübschen, ein Valentinstag-Special kommt sofort!” Er zwinkerte uns beiden zu, so wie man es von Typen aus schlechten Romanzen kennt und ich bemerkte wie Emma ihm genervt hinterher schaute. Ich nahm ihre Hand in meine und versuchte sie etwas zu trösten. ,,Ignorier es einfach.”

,,Aber stört es dich nicht?”. Sie entzog mir wieder ihre Hand und legte sie vor sich auf den Tisch. ,,Wäre einer von uns ein Junge gewesen, würde uns sowas nicht passieren. Warum kann man uns nicht behandeln, wie jeden anderen auch?” Zum wiederholten Mal seufzte sie. ,,Manchmal kann ich nicht anders als mir eine Welt vorzustellen, in welcher wir nicht behandelt werden wie irgendwelche Fantasiewesen; In welcher Menschen wie wir einfach das sind: Menschen.” Ich schüttelte den Kopf. ,,Emma, hör bitte auf damit. Freu dich doch lieber über das, was wir haben.”

Ich versuchte sie mit einem Lächeln zu trösten, doch sie ließ nur den Kopf hängen. Dieser Anblick brach mir fast das Herz. ,,Ich weiß. Aber es ist doch erlaubt, darüber zu fantasieren?” Ich schwieg. Wieder wusste ich nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich wusste, was sie meinte, das tat ich wirklich. Nicht selten dachte ich genauso. Wieso ist es eine so große Sache, Gefühle für jemanden mit dem gleichen Geschlecht zu hegen? Warum kann ich meiner Familie nicht einfach stolz von meiner Freundin berichten? Wo ist das Problem, uns einmal nicht wie seltene Wesen, wie eine Attraktion zu behandeln?

Auch ich stellte mir nun eine Welt vor, in welcher wir sein dürfen, wer wir sind. In welcher wir nicht als unnatürlich angesehen werden, uns nicht dafür schämen müssen. Eine Welt, in welcher Hass und Scham keine natürliche Hürde im Lauf unseres Lebens darstellt und ich mochte diese Welt. Sie erfüllte mich mit Freude, mit Erleichterung und mit Freiheit und ich wünschte mir sie wäre Realität. Ich wünschte es mir so sehr.

Eine Kellnerin kam an unseren Tisch und stellte unsere Bestellungen unsanft auf dem Tisch ab, sodass etwas von Emmas Kaffee auf die Tischdecke schwappte. Die Kellnerin sah uns nicht an, wünschte uns nicht einen guten Appetit, fragte uns nicht, ob wir nicht noch einen Wunsch hätten, zeigte keine Anzeichen von Reue über die verschütteten Kaffee.

So sehr ich es mir also wünschte, mit Emma in einer solch fantastischen Welt, frei von jeglichen Gewichten der Schuld, des Schams und des Hasses zu leben, es würde immer dabei bleiben: Ein Wunsch. So fantastisch diese Realität wäre, es bleibt dabei.

Sie bleibt fantastisch.

©2019 SchreibKunst-Blog/ Mira Durak (Q2)