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Salam Srour: Die weite Gedankenwelt

Meine Gedanken. Ist es dir schon mal passiert, dass deine Gedanken genau im falschen Moment irgendwo ins Weite schweifen? Naja genau das ist mir passiert bzw. passiert mir oft. Wie zum Beispiel jetzt, ich höre meine Mutter rufen, aber anstelle ihr zu antworten, denke ich an diese Frau zurück, die unter den Trümmern lag und die ganze Zeit ihren Sohn rief. Er konnte sie zwar hören, aber ihr helfen konnte er genauso wenig wie sich bewegen, denn auf sein Bein war etwas großes Schweres gefallen und er hing fest. Ich glaube aber, dass niemand versteht, wovon ich rede, daher werde ich von vorne beginnen an den Tag, an dem alles anfing, an dem ich glaub, 6. Februar in Syrien. Ich saß ganz normal im Wohnzimmer, das gleichzeitig auch das Zimmer war, in dem ich lernte und auch schlief und es mit der ganzen Familie teilte. Wir hatten nämlich nur eine 2-Zimmer-Wohnung für 5 Personen, das eine Zimmer für meine Eltern und das andere für den Rest. Also, ich saß auf dem Sofa und lernte für die Schule, als plötzlich der Boden anfing zu beben. Ich hab mir erstmal nichts dabei gedacht, weil Syrien jetzt nicht wirklich ein Erdbebengebiet ist, aber mein Vater wurde nach mehreren Beben unruhig und rief meinen Onkel an. Mein Onkel wohnt zwar nicht in Syrien, aber mit Erdbeben und Wetter kennt er sich aus, ich glaub er ich Geologe oder so. Er riet uns, dass wir uns, sobald irgendetwas auf den Boden fällt, unter einem festen Möbel in Sicherheit bringen können. Rausgehen wäre nämlich gefährlich, weil wir im 12.Stock wohnen und das Beben, während wir die Treppen runtergehen, stärker werden kann und es dann zu spät für uns wäre und einen Aufzug haben wir nicht. Und tatsächlich, wenige Minuten, nein Sekunden später fingen die Lampen an zu flackern. Mein Vater sagte, wir sollen uns unter dem großen Esstisch verstecken, er wolle noch Wasser oder Essen oder so holen, falls wir hier festhängen. Alle hörten auf ihn, nur ich blieb sitzen und dachte über die Schule nach. Die ganze Zeit schweifen meine Gedanken ins weite Meer der Gedanken. Es ist nicht mal meine Absicht, aber es passiert einfach, dann denke ich über etwas nach und bin ganz weit weg von der echten Welt. Dieses Mal dachte ich über den Ausflug nach und den strengen Anweisungen der Lehrer, ich bin soweit mit meinen Gedanken, dass ich nicht mal bemerke, dass meine Mutter mich anstupst, erst als sie es fester macht, wache ich aus meinen Gedanken aus. Alle sind unter dem Tisch, außer mein Vater, ich krieche auch zu ihnen runter und schon fällt die erste Lampe. Das ist aber ein richtiges Erdbeben. Plötzlich hör ich meinen Vater stöhnen. Ich stehe auf, um zu sehen, was passiert ist. Erschrocken halte ich mir die Hand vor den Mund, mein Vater lag auf dem Boden und die Küchentheke mit dem ganzen Geschirr ist auf ihn gefallen. Er sagt mir, ich soll mich nicht um ihn sorgen und das Essen zu meinen Geschwistern bringen. Das tue ich auch, aber anstelle bei ihnen zu bleiben wie er es wollte, gehe ich wieder zu ihm und versuche die Theke anzuheben. Es gelingt mir dann letztendlich mit dem Fuß und ich will wieder aufstehen, als der Boden unter mir sinkt. Mein Vater ruft, ich solle unter den Küchentisch gehen, da es zu spät wäre, zum Rest der Familie zu gehen. Er passte aber nicht unter den Tisch und sagte, das schaffe er schon und genau in dem Moment fiel die Decke, ich weiß nicht genau, was danach passiert ist, weil, wenn ich dem Arzt richtig zugehört habe, mein Gehirn diese bösen Erinnerungen verdrängt hat. Aber man kann sich eigentlich auch denken, was passiert ist. Wie ich gerettet wurde weiß ich auch nicht mehr, ich weiß nur, dass ich dann auf einer Liege aufwachte und meiner Tränen und Blut überströmten Mutter ins Gesicht sah. So landeten wir dann in den Zelten, dort mussten wir uns mit zwei fremden Familien ein Zelt teilen. Es war so kalt dort und es gab so viel Arbeit, jeder hatte sein Zuhause oder gar alles verloren und musste jetzt hier leben. Aber zum Glück hatte ich noch meine weite Gedankenwelt, in der mein Vater noch lebte.

Ende –

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