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Es ist immer wieder derselbe Traum. Derselbe unüberwindbare Fluss. Er endet nirgendwo, er fängt auch nirgendwo an. Er ist breit und schnell. Die Strömung reist alles mit sich, was sich ihr in den Weg stellt. Kleine, flache Steine, dürre Stöcke und dicke, starke Zweige, Alles wird fortgespült, wie verschlungen von der Kraft des Wassers. Ich kann den Fluss nicht überwinden. Ich kann nur auf meiner Seite des Ufers stehen und warten. Warten auf Hilfe. Warten auf Trost. Warten auf Hoffnung. Ich habe Angst einzuschlafen, den Traum wieder zu träumen. Ich wache dann auf, schmiege mein Gesicht in das Kopfkissen und weine. Weil ich eben weinen muss. Einsamer als der einsamste Mensch. Wenn ich meinen Freunden in der Schule von meinem Traum erzähle, sagen sie nur: „Ja, ja“. Weil sie eben „Ja, ja“ sagen, Sie verstehen mich nicht. Sie wollen mich nicht verstehen. Nur das Gute und Glückliche interessiert sie, dem Traurigen kehren sie den Rücken zu, verschließen sich vor der Wahrheit. Lachen, machen ihre Schulaufgaben und spielen. Machen einfach weiter, als wäre nichts passiert. Als würde das, was sie ignorieren, nicht existieren. Der Fluss in meinem Traum: Wie meine Probleme und Ängste. Ich kann mich ihnen nicht stellen. Ich bin zu schwach, viel zu schwach. Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr ignorieren. Kann nicht mehr warten. Allein? Nein, allein schaffe ich es nicht.

Doch ich bin nicht allein! Sie ist da, immer. Ich habe so oft vergessen, wie dankbar ich ihr dafür bin. Sie baut mir die Brücke, hilft mir bei schwierigen Entscheidungen und lehrt mich, auf mein Herz zu hören. Ich kann auf die andere Seite des Ufers. Neues kennenlernen und meinen Sorgen die Zunge rausstrecken. Sie tröstet mich, wenn ich traurig bin. Ist augenblicklich da, wenn es mir nicht so gut geht. Bringt mich zum Lachen, wenn ich weine. Sie geht mit mir durch dick und dünn. Ist witzig, verrückt auf ihre eigene Art und Weise und hat ihre eigene Moral. Sie ist meine Brücke und -ja, das weiß ich jetzt- deshalb ist sie meine beste Freundin.

©2018 SchreibKunst-Blog/ Kristien Paschold (6c)

Sonntag, der 11.08.2018

Liebes Tagebuch,
ich liege gerade auf meinem neuen Bett in meinem neuen Zimmer in unserem neuen Haus in meiner neuen Stadt und denke über den ersten Tag in meiner neuen Schule nach, der schon morgen stattfinden wird. Sehr viele Neuheiten, oder?

So muss sich Harry Potter gefühlt haben, als er überraschend nach Hogwarts kam, einer ganz anderen Welt.

Ich weiß noch genau, wie unsere Mutter mit uns auf der Couch saß, wir GNTM schauten und sie uns sagte, dass wir umziehen werden. Natürlich waren wir total geschockt und haben total verpasst, wie Klaudia mit K rausgeflogen ist.

Na ja, auf jeden Fall sitze ich jetzt hier und betrachte stolz mein Outfit für morgen. Nachdem ich stundenlang alle Kleidungsstücke, die ich jemals besessen habe, anprobierte, kam zum Glück Mia und half mir bei meiner Suche.

Mia ist meine 13 Minuten ältere Zwillingsschwester, weshalb sie sich manchmal total erwachsen aufführt, aber man kann auch viel Spaß mit ihr haben. Genau wie ich hat sie blasse Haut, lange, dunkelbraune Haare und grüne Augen, um die uns ziemlich viele beneiden.

Im Gegensatz zu mir ist sie sportlich, weshalb sie auf so eine besondere Sportschule gehen wird, das GBS, und ich auf die Lichtenbergschule in Darmstadt.

OMG ich bin soooo aufgeregt!!! Morgen ist ein Neubeginn in meinem Leben. Der erste Eindruck zählt, das hat unsere Grundschullehrerin Frau Müller immer gesagt. Irgendwas von dem ganzen Geschwafel bleibt anscheinend hängen.

Montag, der 12.08.2018

Liebes Tagebuch,
gerade sitze ich im Atrium der Schule und genieße die letzten warmen Tage. Ich muss dir so viel erzählen, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Ich hatte mir fest vorgenommen um 6 Uhr aufzustehen, aber ich war so müde…

Naja, dann wurde es doch halb sieben und ich hatte total den Stress, da ich mir auch noch eine Frisur von meiner Mutter machen lassen wollte. Nach einem olympiareifen Sprint zur Bushaltestelle, habe ich den Bus gerade noch so erwischt. Stell dir vor, statt 15 Minuten dauert die Fahrt jetzt fast eine Dreiviertelstunde?! Vor dem Unterricht musste ich noch zu dem Direktor, Herr Hiemenz, um mich anzumelden. Da ich schneller fertig war als erwartet, habe ich schon einmal meinen Klassenraum mit der Nummer 315 aufgesucht, mich an einen Fensterplatz gesetzt und ein Buch gelesen. Für mich ist es unvorstellbar, dass ich mich jemals in dieser Schule zurechtfinden werde. Dann kamen nach und nach meine neuen Mitschüler herein, begrüßten sich nach den langen Ferien enthusiastisch und beäugten mich mit neugierigen und befremdlichen Blicken, aber keiner kam zu mir. Irgendwie machte mich das traurig, weil ich daran denken musste, wie meine Freundinnen mich begrüßt und mir von spannenden Ferien erzählt hätten, aber jetzt sitze ich hier ganz alleine.

Drei Minuten und siebenundzwanzig Sekunden nach Unterrichtsbeginn betrat die Klassenlehrerin der 8d den Klassenraum. Sie heißt Frau Perthes, ist echt nett und lustig, da sie einen interessanten sowie auffallenden Kleidungsstil besitzt und gelegentlich Tänze im Unterricht aufführt. Ich hab viel gelacht, aber es war trotzdem ein komisches Gefühl die „Neue“ zu sein und nach einer Stunde hat sich mein Kopf angefühlt, als würde er vor lauter Matheformeln gleich explodieren.

In der dritten und vierten Stunde hatten wir Englisch und wir ich konnte bei Conditional III glänzen, da wir das schon auf unserer alten Schule hatten. Irgendwie vermisse ich mein altes Zuhause, die alte Klasse, das alles.

Mittwoch, der 15.01.2019

Liebes Tagebuch,
Hallo mal wieder. Ja, ich weiß ich habe sehr lange nicht geschrieben, aber das lag einfach daran, dass so viel passiert ist und ich dich in dem ganzen Stress total vergessen habe. Wir hatten Probleme mit unserer Wohnung, da dieser idiotische Vermieter nichts von den undichten Rohren gesagt hat. Außerdem ist unsere Schule auf unerklärliche Weise verschwunden! Vom einen auf den anderen Tag war sie weg. Und der Schulleiter gleich mit. Die ganzen anderen Lehrer bedauerlicherweise nicht. Das hat ein rieeeeesieges Aufsehen erregt und wir kamen sogar in die Zeitung! Ich war vorher noch nie in der Zeitung. Oh nein! Passt zwar gerade nicht, aber mein Ohrstecker ist auf Mias flauschige Decke gefallen und verschwunden. Eigentlich wie unsere Schule. Passt also doch irgendwie. Haha!

Ich hab dir hier den Zeitungsartikel mal abgeheftet.

Vielleicht Morgen - Zeitungsartikel - Seite 1
Vielleicht Morgen - Zeitungsartikel - Seite 2

Donnerstag, der 14.2019

Liebes Tagebuch,
neuerdings werden wir in Containern auf unserem alten Schulgelände unterrichtet. Unser neuer Schuldirektor, Thomas Schmidt, ist echt cool und behält trotz allem die Ruhe, obwohl viele Schüler die Schule gewechselt und gefühlt die Hälfte der Lehrer gekündigt hat. Allerdings haben sie uns zum Abschied zur Beruhigung ihres Gewissen viele von diesen hässlichen Wackelkopf-Stiften geschenkt. Da wir jetzt zwei Wochen unerwartete Ferien hatten, übertreiben die Lehrer jetzt total mit den Hausaufgaben und Arbeiten. Ich glaube, die sind alle übergeschnappt!!!

Auf jeden Fall schreiben wir morgen einen Franz-Test und einen Vokabeltest in Englisch beim guten alten Steiner. Merke: Pollution = Luftverschmutzung!!!

Donnerstag, der 02.07.2019

Liebes Tagebuch,
morgen ist mein letzter Schultag und es kommt mir so vor als ob ich erst gestern diese Schule zum ersten Mal betreten hätte, die übrigens wieder aufgetaucht ist. Morgen werde ich sie sozusagen zum zweiten ersten Mal wieder besuchen. Der zurückgekehrte Schulleiter, der übrigens zum Zeitraum der unerklärlichen Abwesenheit der Schule unter Gedächtnisverlust leidet, hat gestern eine wunderschöne, einstündige!!! Rede über die Tatsache, wie ungewiss das Morgen doch ist, gehalten.

Dabei ist mir eins klargeworden: Wer weiß schon was oder übermorgen geschieht? Vielleicht ist die Schule morgen wieder verschwunden. Wer kann das schon sagen? An meinem ersten Schultag war ich sehr aufgeregt, weil ich noch keine Ahnung davon hatte, was kommen wird. Das weiß man aber nie. Aber wozu aufgeregt sein? Man weiß doch sowieso niemals, was passiert und ich finde, dass man das Leben leben und genießen sollte, so, wie es kommt und nicht über morgen nachdenken muss. Aber diese Gedanken verwirren langsam also ich höre jetzt besser mal auf.

©2018 SchreibKunst-Blog/ Sophie Schönrock & Lea Wallrabenstein (8d)

D´Arumo hatte es satt. Er hatte es alles satt.

Er hatte es satt, seit hunderten von Jahren sein Leben in den Schatten der Welt fristen zu müssen. Er hatte es satt, einmal im Monat einen Unschuldigen leerzutrinken, nur um am Leben bleiben zu können, nur weil der Rausch ihn dazu zwang. Er hatte es satt, nicht unentwegt die Kontrolle über sich zu haben. Er hatte genug von diesem Leben. Und er wünschte sich nichts sehnlicher als die Erlösung von diesem ewigen Leid.

Der Morgen nahte.

Gegen die Dämmerung, die sich bereits als schmaler Streifen am Horizont zeigte, hoben sich die Silhouetten der Häuser des abgelegenen Dorfes unscharf ab. Trotz des Zwielichts konnte D´Arumo dank seiner geschärften Augen die Umgebung genauestens wahrnehmen: Die wenigen Häuser, die den Platz, in dessen Mitte er sich befand, umringten; die Äcker und Stallungen, die sich dahinter auf dem weitläufigen Brachland erhoben; die zu dieser späten Stunde wie leergefegte Straße, die vor ihm begann und geradewegs in Richtung Sonnenaufgang führte.

Auch erkannte er im Augenwinkel die schemenhaften Gestalten einiger Bewohner dieses kleinen Dorfes. Eine Handvoll Menschen, die wohl besonders früh aufgestanden waren, um ihren Aufgaben – das Bestellen der Felder und die Versorgung des Viehs – nachzugehen, sowie auch ein paar Vampire, die sich in den Schatten der Häuser verbargen. D´Arumo wusste von ihrer Anwesenheit, weil er die Angst der Menschen riechen konnte, die diese in der Gegenwart von Vampiren immer überkam, weil die nicht wissen konnten, wann wieder der Zeitpunkt gekommen war, an dem das gewöhnliche Essen den Hunger der Vampire nicht mehr zu stillen vermochte und sie das Blut eines Menschen brauchten, um am Leben zu bleiben.

Am Ende waren die Menschen doch stets nur Essen, deren Zeit auf der Welt unbestimmt kurz war, während das Leben eines Vampirs niemals selbst endete, jedoch vielen Menschen das ihre kostete.

D´Arumo spürte die Blicke seiner Bekannten auf sich ruhen, die er hätte Freunde nennen müssen nach all der Zeit, die er mit ihnen verbracht hatte. Seine wirklichen Freunde hatte er zurücklassen müssen – schon vor hunderten von Jahren.

Zeit heilte nicht jede Wunde.

Er erinnerte sich gut an die Frau, die er geliebt hatte. Er hatte alles an ihr geliebt – ihre Augen, ihr Lächeln, ihre Stimme. Doch auch sie hatte er zurücklassen müssen, wegen dieses verdammten Fluchs, der sein Leben für immer verändert hatte.

Nachdem man ihn ohne seine Einwilligung zum Vampir gemacht hatte, hatte man ihn fortgebracht und unter Beobachtung gestellt. Man hatte ihn mit anderen zusammengebracht, die sein Schicksal teilten, sie aufs Land ausgesiedelt und weiter überwacht. Irgendwann, nach etlichen Jahren, waren ihre Beobachter verschwunden. Einfach so. Spurlos. Ohne sie darüber aufzuklären, was mit diesem Experiment auf sich gehabt hatte. Als seien sie plötzlich wertlos geworden. Vielleicht aber war auch einfach so viel Zeit vergangen, dass die, die an der Studie interessiert gewesen waren, ihre Zuständigkeit verloren hatten. Seitdem suchten D´Arumo und seine Gefährten in den abgelegenen Gegenden des Landes Orte, an denen es sich bequem leben ließ.

Doch ihr Glück hatten sie dabei nie gefunden.

Wenn D´Arumo an seine frühe Liebe zurückdachte, wurde er sich seiner gequälten Existenz umso bewusster. Seit er ein Vampir geworden war, spürte er kaum mehr etwas – keinen Schmerz, keinen Zorn, keine Liebe, kein Glück. Selbst seine Erinnerungen an das Leben davor hatten den Großteil der mit ihnen verbundenen Gefühle eingebüßt, sodass sie nun wie unter einer dicken Schicht Sand begraben schienen. Dennoch war seine menschliche Seite nicht völlig tot – und diese ertrug sein freudloses Dasein nicht länger.

D´Arumo holte tief Luft und rüttelte kräftig an dem Seil, mit dem er seinen Brustkorb am Mast in der Mitte des Dorfplatzes gefesselt hatte. Es gab keinen Millimeter nach. Nun versuchte er mit aller Kraft, seine Arme aus den Schlingen zu ziehen. Es gelang ihm nicht.

Der Ausdruck von Genugtuung schlich sich in sein Gesicht. Er saß hier fest. Es hatte zwar monatelange Übung gebraucht, bis er rausgefunden hatte, wie er sich selbst bewegungsunfähig machen konnte, aber es hatte sich gelohnt. Aus eigener Kraft würde er sich nicht befreien können.

Und das war gut so.

Denn D´Arumo wusste, dass, sobald es unmissverständlich klarwerden würde, dass er sterben würde, sein Körper sich dagegen wehren und sich zu retten versuchen würde. Diesen verdammten Überlebenswillen hatte er über all die Jahre voller Selbstmordgedanken niemals ablegen können.

Er hätte nicht den Mut gehabt, eine präparierte Pistole abzudrücken. Er hätte nicht den Mut gehabt, sich einen Holzpflock ins eigene Herz zu rammen. Und er hätte es auch nicht über sich gebracht, einen anderen dazu zu überreden, es an seiner statt zu tun. Darum war das seine einzige Möglichkeit, sein Leben zu beenden: Gefesselt und ohne Möglichkeit auf Entkommen.

Jeder Vampir war sich selbst am wichtigsten und keiner traute sich, bei dem unmittelbar bevorstehenden Sonnenaufgang zu versuchen, die Stricke zu lösen und sich anschließend noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. D´Arumo war das nur recht. Er wollte nicht gerettet werden. Er hatte viele Fehler in seinem Leben gemacht und unzähligen Menschen Leid gebracht. Er war froh, wenn das endlich vorbei war.

Höchstens noch eine Minute, bis die Morgensonne das Dorf erhellen würde.

Schritte eilten auf D´Arumo zu. Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam, da hatte ihn der Junge bereits umarmt. Malik, der Junge, um den er sich in letzter Zeit mehr oder weniger gekümmert hatte, vergrub seinen Kopf in D´Arumos Bauch und begann zu schluchzen.

„Was tust du hier?“, fragte D´Arumo verständnislos. „Los, verschwinde, bring dich in Sicherheit! Oder willst du hier und jetzt sterben?“

Der Junge hob sein Gesicht und sah den älteren an. In seinen Augen funkelten Leid und Schmerz, als er klagte: „Ich hätte schon lange tot sein sollen. Ich hätte mit meiner Familie sterben sollen!“

D´Arumo konnte ihm nicht widersprechen. Denn er hatte ja recht. Unsterblichkeit war unnatürlich – es war ein Fluch! Ewiges Leben war nicht wünschenswert – nicht bei dem, was es kostete.

Aber D´Arumo musste sich darüber keine Sorgen mehr machen. Seines würde ohnehin jeden Moment vergangen sein. Und das war gut so.

Er schloss die Augen und lächelte den ersten morgendlichen Sonnenstrahlen entgegen.

©2018 SchreibKunst-Blog/ Larissa Birkel (Q4)