Im Rahmen unseres PoWi – Themas „Flucht nach Europa“ und der Europawoche interviewten wir, Alicia Wagner, Ariane Schämer, Jana Stoll und Lilian Scharnke einen syrischen Flüchtling. Dabei wollten wir etwas über seine Erfahrungen während der Flucht sowie über sein vorheriges Leben und sein aktuelles Leben in Deutschland erfahren.
Unser Interviewpartner war der 28-jährige Hazem K. aus Syrien. Auf ihn aufmerksam wurden wir durch unsere Lehrerin Frau Sachse, welche uns das Interview nach Absprache mit unserer PoWi-Lehrerin, Frau Gläser ermöglichte. Am 08. Mai 2015 war es dann so weit. Dieser Tag ist der Gedenktag, seit dem 08. Mai 1945, an die Befreiung vom Zweiten Weltkrieg und vom Nationalsozialismus. Hazem K. lebt nun schon seit zweieinhalb Jahren in Deutschland und spricht fließend Deutsch. Zurzeit sucht er nach einer Arbeit oder einer Ausbildung, sein Wunsch ist es, eine Ausbildung zum Industriekaufmann zu absolvieren. Eigentlich studierte er schon in seiner Heimat Wirtschaftswissenschaften, wodurch er auch Englisch spricht, aber hier in Deutschland findet er dazu keine Anstellung. Er muss also von ganz vorne anfangen und so geht es vielen Flüchtlingen, wie er uns erzählt. Ein brennendes Problem ist in Deutschland die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis: Ohne Aufenthaltserlaubnis bekommt man keine Arbeit, aber einer der Gründe, der besagt, dass man bleiben darf, ist, dass man einen Beruf ausübt. Diese Zwickmühle ist ein großes Problem für viele Flüchtlinge, denn nach ihrer langen Reise wollen sie nicht mehr zurück. Das können sie auch nicht, wie uns Hazem auf unsere Frage hin verrät:
„Würden Sie zurückkehren, wenn in Syrien der Krieg beendet wäre?“
„Nein, da ich die Regierung nicht gutheiße. Sie würden mich bei einer Rückkehr wahrscheinlich auch festnehmen und einsperren.“
Die Regierung war auch der Grund, weshalb Hazem floh. In seinem Land gilt für alle 18-Jährigen die Wehrpflicht. Normalerweise muss man dann zwei Jahre Wehrdienst leisten, durch den Krieg verlängert sich diese jedoch und kann bis zu fünf oder sechs Jahre andauern oder noch länger. Mithilfe seines Studiums konnte Hazem zunächst der Wehrpflicht entgehen, doch nach seinem Bachelor sah er keine Hoffnung mehr, dieser zu entgehen und floh. Er wollte in diesem hoffnungslosen Krieg nicht kämpfen und sah auch für die Zeit nach dem Krieg keine Arbeitsmöglichkeiten.
Im April 2015 verließ er seine Heimatstadt Daraa mit einem Freund. Sie brauchten insgesamt fünf Tage um Syrien zu verlassen, mithilfe eines Busses, der 500€ kostete, durchquerten sie die Wüste über Aleppo nach Idleb. Von dort aus liefen sie zusammen 15 Kilometer zur Türkei. Diese Fußmärsche mussten sie jedes Mal vor den Grenzen absolvieren, um einer Kontrolle zu entgehen. Dafür folgten sie den Straßen und Schienen. Nun ging es weiter nach Antakya und dann nach Istanbul. Dort verblieben sie zunächst, bis sie von einem „guten“ Weg hörten. Dieser soll über Izmir führen, wo an einem angrenzenden Wald ein Fluchtpunkt ist. Der Weg über das Meer nach Europa erschien einfach im Gegensatz zu seinen bisherigen Erfahrungen, weshalb die beiden mit einem Schlauchboot und 40 anderen Flüchtenden nach Europa übersetzten, wieder entstanden Kosten von 1.300€. Hazem sprach von seiner schwersten Zeit. Er benutzt oft die Wörter „Wahnsinn“, „Chaos“ und „schrecklich“, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Er hatte Angst, es nicht nach Europa zu schaffen. Ein besonders guter Schwimmer sei er ebenfalls nicht, sodass es ihn große Überwindung kostete, das Schlauchboot zu betreten.
Auf der Überfahrt zu einer kleinen griechischen Insel plagte ihn die Ungewissheit und Angst, doch als er dann die Lichter der Stadt in der Dunkelheit sah, bekam er Hoffnung. In Mitylini wurden sie von der Polizei erwartet, diese half ihnen und zeigte ihnen den Weg. Hazem und sein Freund ließen sich zum ersten Mal registrieren und zelteten am Strand für die nächsten drei Tage. Sie hatten Europa erreicht und die Bedingungen wurden von da an besser.
Dann, nach drei Tagen, bekamen sie die Erlaubnis Griechenland zu durchqueren. In diesem Fall war das eine Ausnahme, denn die anderen Länder hatten sich bereit erklärt, ebenfalls Flüchtlinge aufzunehmen und somit die Grenzländer zu entlasten. Mit Zügen durchquerten sie schließlich auch Serbien und Ungarn. Während Hazem sich in Serbien ebenfalls registrierte, blieb er in Ungarn illegal. Er wollte zu dem Zeitpunkt weiter nach Schweden oder Frankreich, wo er Verwandte hat. Die Grenzen in Ungarn waren jedoch gesperrt, sodass er dort festsaß. Am 01. September 2015 öffneten sich dann die Grenzen und Hazem reiste weiter nach Deutschland. Eine Journalistin informierte ihn, dass Deutschland sich gut um die Flüchtlinge kümmert. Von dort an war es einfach, die Zugfahrt war angenehm und umsonst. Ein großer Faktor, denn bis Griechenland hatte Hazem bereits für sich alleine ungefähr 2000€ ausgegeben. Er erzählte, dass sie ausgenutzt wurden und alle Fahrer versuchten Profit zu schlagen.
In München kam er in einem Zug voller Flüchtlinge an und wurde herzlich empfangen. Viele hatten sich versammelt und begrüßten die Flüchtlinge. Man schenkte ihnen Essen und Kleidung. Hazem bekam zum ersten Mal nach Monaten wieder einen Hoffnungsschimmer. Seit seiner Flucht aus Syrien war ein halbes Jahr vergangen. Auf unsere Frage hin, wie die Menschen in Deutschland auf ihn reagieren und ihn behandeln, sagte er uns, dass er sich wohl fühle und die Menschen nett seien.
Von München aus war er aber nochmals viel herumgekommen, zuerst nach Dortmund, dann nach Grevenbroich und zu allerletzt nach Jüchen. Das war die Zeit in den Turnhallen. Hazem sprach von engen Verhältnissen und Unzufriedenheit. Man trennte ihn und seinen Freund. Er wurde nach Gießen geschickt und sein Freund nach Bielefeld. Eigentlich wollten die beiden nach Wuppertal, da sie dort ebenfalls Verwandte haben.
In Gießen lebte er dann in Flüchtlingslagern und absolvierte Deutschkurse. Es sei eine schwierige Sprache, aber durch seine Englisch-Kenntnisse sei es ihm leichter gefallen, erzählt er uns. „Auf meiner Reise konnte ich schon ein wenig Deutsch lernen und habe mir die Grundkenntnisse selbst beigebracht“, fügte er noch hinzu.
Heute lebt er in Roßdorf, dort hat er eine eigene Wohnung. Den Kontakt zu seinem Freund hält Hazem aufrecht: „Die Reise hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Als ich in Ungarn nicht mehr laufen konnte, weil ich von den vielen Märschen Knieprobleme hatte, ist er bei mir geblieben und hat sich um mich gekümmert.“ Auch zu seiner Familie in Syrien hat er Kontakt. Sie blieben damals dort, weil seine Eltern zu alt sind und seine Geschwister noch studieren. Sein großer Bruder befindet sich zurzeit jedoch auch auf der Flucht und an der türkischen Grenze.
Rückblickend schaut Hazem wie folgt auf seine Flucht: „Ich habe meine Ziele erreicht, ich wollte überleben und mich vor dem Krieg retten. Ich fühle mich hier wohl, ich mag die Kultur. Auch in meiner Heimat gab es viele verschiedene Religionen, das stellt für mich kein Hindernis dar. Auf meiner Flucht haben die Menschen mich nicht schlecht behandelt, sondern die Natur!“
Wir als Gruppe freuen uns, dass Organisationen Flüchtlingen helfen und ihnen im Krankheitsfall Medikamente geben. Außerdem finden wir es gut, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt und die Polizisten den Flüchtlingen den Weg zeigen. Zum Nachdenken hingegen brachte uns folgende Aussagen:
„Die Unternehmen glauben nicht an uns und unsere Qualifikationen. Ich muss von vorne anfangen, trotz meines Bachelors“
„Ich habe das Gefühl, ich wurde gekauft. Ich hatte keine andere Wahl als nach Deutschland zu gehen. Ungarn wollte uns nicht, wie ich später herausfand.“
Durch Hazem konnten wir uns einen besseren Überblick über das Leben der Flüchtlinge machen und auch über die Lage in Syrien. Seit der arabischen Revolution 2011 gab es schon fast eine halbe Million Tote und 15 Millionen Flüchtlinge, ob vor Angst, Aussichts- oder Hoffnungslosigkeit. Es gibt viele Gründe nach Europa zu fliehen. Hazem berichtete von einer ständigen Gefahr: Vorlesungen werden abgesagt, Lehrmittel sind zerstört und niemand schafft mehr die Abschlussprüfung. Ein normales Leben in Syrien sei unmöglich und obwohl Hazem weit weg ist von dem Geschehen, ist die Angst groß. Auch um seine Familie macht er sich Sorgen.
Wir danken Hazem für seine Offenheit und seine Ehrlichkeit. Er hat uns noch einmal einen anderen Blickwinkel auf das Geschehen vermittelt, durch ihn können wir nun die Seite der Flüchtlinge besser verstehen - es ist nun alles viel näher. Wir möchten auch mit diesem Bericht die Ängste und Voreingenommenheit der Mitmenschen nehmen und zeigen das die Flüchtlinge auch nur Menschen sind, die hier in Deutschland auf ein besseres Leben hoffen. Sie verdienen unsere Hilfe und unsere Freundlichkeit.
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